26. Oktober 2014

Für ein gutes Leben statt blindem Wirtschaftswachstum – Es ist Zeit für ein neues Wirtschaftsverständnis



Beschluss der 5. Landesmitgliederversammlung 2014

26.10.2014 | Dresden

 

Wirtschaftswachstum, gemessen durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP), ist zum Leitziel neoliberaler Wirtschaftspolitik geworden. Dass eine solche auf dauerhaftes Wirtschaftswachstum ausgelegte Politik unsere in ihren Ressourcen begrenzte Erde zu Tragfähigkeitsproblemen treibt, konnte bereits 1972 anhand zahlreicher naturwissenschaftlicher und ökonomischer Projektionen nachgewiesen werden.

Inzwischen ist zu dem der vom Menschen verursachte Klimawandel in der Wissenschaft weitestgehend unstrittig belegt. Die Folgen für das Leben auf der Erde sind gravierend und in ihrem vollständigen Ausmaß noch nicht abzusehen. Schon jetzt befinden sich beispielsweise zahlreiche Menschen auf der Flucht vor Klimafolgen. Es ist daher nötig, in Zukunft den Ausstoß von CO2 und an deren Treibhausgasen vollständig zu vermeiden. Eine Lösung, wie dieses Ziel mit stetigem Wirtschaftswachstum einhergehen kann, ist bisher nicht gefunden worden.

Eine intakte Biosphäre ist wie soziale Gerechtigkeit eine unabdingbare Grundlage für Wohlfahrt und individuelle Freiheit. Zugleich sind sie Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben. Wirtschaftliche Aktivitäten haben in der Theorie den Zweck, die Wohlfahrt zu steigern. Doch in der heutigen Realität generieren wirtschaftliche Aktivitäten nicht selten Wohlfahrtsgewinne für kleine Personengruppen, währenddessen für die daraus entstehenden Verluste die Gesellschaft aufkommen muss: Bei der Atomkraft profitieren große Energiekonzerne, während die Zwischen- und Endlagerung vom Staat finanziert wird; große Ölunternehmen profitieren von der Ausbeutung der Ölreserven, während für Ölkatastrophen die Gesellschaft haften muss; die Fahrzeugindustrie lebt vom Verkauf von Autos, gleichzeitig verliert die Gesellschaft durch Lärmimmissionen, Abgasemissionen, Klimaschäden und Unfallkosten. Diese Logik der Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten zeigt sich nicht nur an einzelnen Beispielen, sondern zieht sich durch zahlreiche Wirtschaftsbereiche und Schlüsselindustrien.

Zugleich zeigt sich, dass das derzeitige Wachstumsdenken systemische Probleme nach sich zieht: Einerseits betont die neoliberale Wirtschaftspolitik, die Wohlfahrtsgewinne aus einem stetig wachsenden Handel von Güter und Dienstleistungen, doch zeigt schon ein genauerer Blick, dass zahlreiche produzierten und konsumierten Güter eine kurze Lebensdauer umfassen und nicht selten schlecht recycelbar, d.h. nicht mehr in den Stoffkreislauf rückführbar, sind. Gleichzeitig erkennen Wissenschaftler*innen zunehmend die Problematik der aus wirtschaftlichen Aktivitäten resultierenden Schäden und der „Ersatzinvestitionen“, d.h. ein wachsendes BIP durch Erneuerung von Schäden: So wirkt es sich positiv auf das BIP aus, wenn alle Eltern ihre Kinder anstatt zu Fuß mit dem Auto zur Kita bringen und dabei die Atmosphäre mit zusätzlichen Abgasen belasten, da das hierfür verbrauchte Benzin eine Folge einer wirtschaftlichen Interaktion ist. Auch der Umstand, dass Verkehrsunfälle sich positiv auf das Bruttoinlandsprodukt auswirken, da medizinische Behandlung und Versorgung sowie Reparaturen zusätzliche Investitionen nach sich ziehen, die ohne Unfall gar nicht nötig wären, offenbart, dass das Bruttoinlandsprodukt keinerlei tiefergehende Aussage über Wohlfahrt oder gar Lebensqualität von Menschen treffen kann.

Ein „Weiter so“ unseres bisherigen Wirtschaftsmodells ist langfristig nicht zukunftsfähig. Der unwiederbringliche Ressourcenverzehr ist in vielen Bereichen jetzt schon sichtbar: Der Earth Overshoot Day, jener Tag im Kalenderjahr, ab dem wir mehr Ressourcen verbrauchen als wiedergewinnbar sind, rückt im Jahresverlauf immer weiter nach vorn. Konnte noch 1970 unsere Erde genau so viele Ressourcen regenerieren wie die Menschheit in diesem Jahr verbrauchte, so rückte dieser Tag seit Ende der 80er Jahre in rasendem Tempo durch den Kalender. Für 2014 war dieser Earth Overshoot Day bereits auf den 19. August vorgerückt, sodass die Weltbevölkerung seitdem bis Jahresende auf Kosten künftiger Generationen lebt. Um den ungebremsten Raubbau unserer Erde zu stoppen, die Klimaerwärmung abzumildern, die Überfischung der Weltmeere einzudämmen und den Rodung des Regenwaldes zu beenden, brauchen wir ein völlig neues Verständnis für eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise. Alle relevanten Bereiche unseres Lebens stehen auf dem Prüfstand: Produktion, Konsum und unser Verständnis zur Arbeit.

Eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise kann nur heißen: Wir müssen Produktion, Konsum und Arbeitswelt so umbauen, dass die Tragfähigkeitsgrenzen unserer Erde nicht überschritten werden. Ein solcher Umbau von Produktion, Konsum und Arbeitswelt ist auch mit einer Abkehr vom gegenwärtigen Wirtschaftsmodell mit Gewinnmaximierung und Maximierung der gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftsleistung in Form des Bruttoinlandsprodukts verbunden. Ein solcher Umbau kann allerdings auch nur dann gelingen, wenn unsere Gesellschaft auch einen solchen Weg hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft gedanklich vollzieht. Das Bruttoinlandsprodukt als aktuell maßgeblichen Leitindikator zur Beurteilung der ökonomischen Entwicklung eines Staates und von Erfolg oder Misserfolg einer Wirtschaftspolitik ist hierfür ein völlig ungeeigneter Indikator.

Eine Umstellung der Wirtschaftsweise erfordert Mut und die Bereitschaft mit Blick in eine angeblich weit entfernte Zukunft etwas wegweisend zu ändern. Wirtschaftswachstum steht für viele Menschen für sichere Arbeitsplätze. Die Erwerbsarbeit zu verlieren ist in unserer Gesellschaft nicht nur eine existenzielle Bedrohung, sondern gefährdet auch das gesellschaftliche Ansehen. Um dieser Angst entgegenzuwirken und damit auch die Freiheit für größere gesellschaftliche Veränderungen zu ermöglichen, brauchen Menschen ein sicheres Einkommen. Ebenso muss die Bedeutung der Erwerbsarbeit grundlegend diskutiert werden.

Wir als GRÜNE JUGEND Sachsen fordern daher:

  • die Entwicklung eines Indikators oder Indikatorensystems, welches auf wissenschaftlicher Grundlage auch ökologische Schäden und soziale Kosten wirtschaftlicher Aktivitäten abbildet. Als Ergebnis eines solchen Indikators oder Indikatorensystems soll Nachhaltige Entwicklung in allen drei Dimensionen (ökonomische, soziale und ökologische Dimension) messbar werden.
  • die verstärkte Forschung und Lehre weiterer ökonomischer Ansätze jenseits der neoklassischen Theorie, so auch der Postwachstumsökonomik an Sachsens Hochschulen.
  • die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die hierzu bisher bekannten Modelle wollen wir stärker in die politische Debatte einbringen.
  • kurzfristig eine Verlängerung der Garantie- und Gewährleistungsfristen für elektronische Geräte und eine stärkere Förderung von geschlossenen Rohstoffkreisläufen.

 

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