26. September 2015

Feminismus ist nicht obsolet – Soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten bekämpfen



Beschluss der 3. Landesmitgliederversammlung 2015

26.09.2015 | Dresden

 

Der Wandel der Geschlechterverhältnisse und die Veränderung weiblicher* Biografien gehören zu den großen Errungenschaften unserer modernen Gesellschaft. In den vergangenen einhundert Jahren konnten Feministinnen erreichen, was zuvor undenkbar gewesen wäre: Das Frauenwahlrecht (1918), die Freiheit, ein eigenes Bankkonto zu eröffnen (1962), die Freiheit, ohne Zustimmung des Mannes einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (1977) und das Recht auf Mitsprache bei der Kindererziehung. Bis 1979 galt Sex laut Bürgerlichem Gesetzbuch als „eheliche Pflicht“ und erst SPD und GRÜNE machten 1997 eine Änderung des Strafgesetzbuches möglich, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellte. Heute ist für uns kaum vorstellbar, wie lange es dauerte, diese Rechte für Frauen* zu erkämpfen, die heute selbstverständlich zu sein scheinen. Die Erwerbsquoten der Frauen* in Deutschland sind gestiegen und ihre Bildungsabschlüsse sind heute im Durchschnitt sogar besser, als die der Männer.

Im 21. Jahrhundert gilt Feminismus Vielen als „überholt“ und obsolet. Dabei zeigt die noch immer vorhandene soziale und wirtschaftliche Ungleichheit, dass Feministisch heute nicht weniger aktuell ist, als in den Zwanzigern. In vielen Ländern auf der Welt werden Frauen* noch immer politischer Repression und Frauenfeindlichkeit ausgesetzt. Doch auch in Deutschland liegt noch immer einiges im Argen. Gesetzeslage und die konservative Politik spiegeln zum Teil noch immer ein mit alten Mustern behaftetes Rollenbild wieder – trotz der im Grundgesetz proklamierten Gleichheit von Mann und Frau*.

WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE BENACHTEILIGUNG – EIN NOCH IMMER WEIT VERBREITETES PROBLEM!

Im Jahr 2014 hatten 23,1 % aller Frauen* in Deutschland die allgemeine Hochschulreife (Abitur), während dies nur auf 20,6 % aller Männer zutraf. Obwohl Frauen* heute im Durchschnitt bessere Bildungsabschlüsse und Abschlussnoten haben, werden sie im Berufsleben weiterhin stark benachteiligt. Für die gleiche Arbeitstätigkeit erhalten Frauen* im Schnitt 22% weniger Gehalt als Männer. Im europäischen Durchschnitt liegt diese Abweichung „nur“ bei 15%. Hinzu kommt, dass Frauen* sich häufiger für ohnehin schlecht entlohnte soziale oder pädagogische Berufe entscheiden, als Männer, was zur weiteren Ungleichheit beiträgt.

Die sogenannte „Gender-Pay-Gap“ beschreibt die Lücke zwischen der Entlohnung der Frauen und der Männer. Dabei wird zwischen einer unbereinigten und einer bereinigten Lohnlücke unterschieden. Die unbereinigte Lohnlücke errechnet sich aus der Differenz zwischen den unterschiedlichen Durchschnittslöhnen von Männern und Frauen. Schon 1959 stellte das Bundesarbeitsgericht allerdings fest, dass ein Verstoß gegen das Prinzip der Lohngleichheit nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei. In Deutschland liegt beispielsweise aber der Verdienst eines männlichen Versicherungskaufmanns bei 4.160€ monatlich und bei einer Versicherungskauffrau bei 3.012€. Das ergibt eine Lohndifferenz von 28%. Auch das Europäische Recht schreibt vor, dass „die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgeltes für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit“ sicherzustellen sei. Trotzdem liegt der Gender-Pay-Gap im europäischen Durchschnitt bei 15%.

Während die Erwerbstätigkeit von Frauen* weiter zunimmt, ist das Privatleben weiterhin von einem Rollenmodell des 19. Jahrhunderts geprägt, in dem Männer als „Haupternährer“ der Familie galten und Frauen lediglich für die unbezahlten Haus- und Erziehungsarbeiten zuständig waren. Die Teilung von Arbeit in bezahlte und unbezahlte Arbeit geschieht nicht ohne Wirkung, denn so wird die Teilhabe von Frauen an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen und die Verteilung von Geld und Vermögen maßgeblich eingeschränkt. Bisher werden die unbezahlten Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeiten nicht in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit eingebracht. Sie würden allerdings, Schätzungen zufolge, etwa ein Drittel des Bruttosozialprodukts moderner Industriegesellschaften ausmachen.

Häufig wird auch darauf hingewiesen, dass Frauen freiwillig schlechter bezahlte Jobs annehmen als Männer. Das Hauptproblem hierbei liegt allerdings in der gesellschaftlichen Anerkennung dieser Berufe. Der Lehrerberuf war beispielsweise im 19. Jahrhundert noch sehr hoch angesehen und sehr gut bezahlt. Als man allerdings begann (unverheiratete) Frauen als Lehrerinnen einzustellen sanken die Anerkennung sowie die Bezahlung rapide. Noch heute ist es so, dass Grundschullehrer*innen (hauptsächlich weiblich) wesentlich weniger verdienen als Lehrer*innen an weiterführenden Schulen.

Es stellt sich also die Frage, warum Hebammen beispielsweise, die Verantwortung für ein neues Leben übernehmen, wesentlich weniger Geld verdienen als ein Metallarbeiter. Es sind nicht die Frauen*, die sich ändern müssen, sondern die Gesellschaft!

OHNE DIE VEREINBARKEIT VON BERUF UND FAMILIE KANN ES KEINE GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT GEBEN!

Um frei über ihr Familien- und Erwerbsmodell entscheiden zu können, brauchen Eltern neben einem passgenauen öffentlichen Kinderbetreuungsangebot für alle Altersstufen ein Bündel familienfreundlicher Maßnahmen. Flexibel gestaltbare Arbeitszeiten (Vollzeit vs. Teilzeit) ohne langfristige berufliche Nachteile, Vertretungsangebote oder geteilte Jobs gehören zu den wichtigsten Schlüsseln.

Frauen fallen wesentlich häufiger im Beruf aus familiären Gründen aus als Männer. Auch fällt es ihnen schwerer nach der Elternzeit wieder im Job einzusteigen. Oftmals ist es Frauen nicht möglich ihre Vollzeitstelle wieder zurückzubekommen, nachdem sie in Teilzeit gewechselt haben. Der/die Arbeitgeber*in ist nämlich nur dazu verpflichtet Teilzeit anzubieten, jedoch nicht dazu die ehemalige Vollzeitstelle zurückzugeben. Viele Mütter kleiner Kinder, oder auch ältere Frauen, denen die Pflegeaufgaben der Eltern zugeteilt werden, schränken deshalb ihre Erwerbstätigkeit ein oder geben sie vollends auf. Damit nehmen sie eine deutliche Schlechterstellung auf dem Arbeitsmarkt und eine finanzielle Benachteiligung in Kauf.

Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere eine bessere Nutzung gut ausgebildeter Frauen, hat positive Auswirkungen auf die Geburtenrate, Wirtschaftsleistung, Binnenmarkt und internationalen Wettbewerb. Bildungsabschlüsse dürfen nicht an Altersgrenzen scheitern und familiär bedingte Unterbrechungen im Berufsleben in einer offenen Gesellschaft nicht sanktioniert werden.

Die Kinderbetreuung nimmt beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine zentrale Rolle ein. Hierbei ist aber vor allem der Staat gefragt. Unternehmen sind hier teilweise schon sehr aktiv: Betriebskindertagesstätten, Beauftragung von Familiendienstleister*innen, Unterstützung von Elterninitiativen oder der Erwerb von Belegplätzen. Der Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren ist unzureichend. Vor allem in städtischen Gebieten ist die Nachfrage wesentlich höher als das Angebot. Allerdings darf der quantitative Ausbau nicht zur Vernachlässigung von Qualität führen. Nur eine hochwertige Betreuung, Erziehung und Bildung mit einem ausreichenden Betreuungsschlüssel ist gut genug. Bei den Kinderkrippen liegt der Betreuungsschlüssel in Sachsen derzeit bei 1:6 (auf eine*n Erzieher*in kommen sechs Kinder), im Kindergarten sogar bei 1:13. Auch spielt die Betreuung in Randzeiten eine äußerst wichtige Rolle, sodass Eltern in Schicht- und Wochenendarbeit die Teilhabe an Angeboten zur frühkindlichen Förderung nicht verwehrt bleibt. Wir fordern daher einen sachsenweiten verbindlichen Betreuungsschlüssel von 1:3 in Kindertagesstätten.

ALTMODISCHE ROLLENBILDER IN DER WERBUNG ABSCHAFFEN!

Der Körper von Frauen wird in den Medien und der Werbung stark sexualisiert. Werbung berührt uns ständig: Wir sehen Leuchtreklamen, Bilder in Zeitschriften und im Internet. Sie erzeugen Lebensgefühle, verbreiten Idealbilder und sagen uns wie wir unser Leben gestalten sollen. Häufig werden hierbei überzogene Rollenbilder von Mann und Frau transportiert.

Getreu dem Motto „Sex sells“ wird mithilfe von spärlich bekleideten, teilweise sogar mit pornographischen Darstellungen von Frauen Elektronik, Bier bis hin zu Spenden für Hilfsorganisationen beworben. Die Produkte stehen also nicht im Zusammenhang mit dem Frauenkörper und zeichnen ein Bild von ständiger sexueller Verfügbarkeit ab.

Die klischeehafte Darstellung von Frauen und Männern trägt zur Festigung alter Rollenbilder bei. Vorurteile werden reproduziert und die heteronormative Norm weiterhin gefestigt. Sexistische Werbung bedeutet, dass Frauen auf ihre Schönheit und bestimmte Körperteile reduziert werden. Sie sagt aus, dass Frauen käuflich und sexy sind.

Sexistische Werbung erklärt Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität und männliche Dominanz zur gesellschaftlichen Norm. Diese Art der Werbung hat unter anderem Auswirkungen auf unsere Selbstwahrnehmung. Jeden Tag lernen Frauen, dass sie nicht dünn genug, nicht jung genug oder „sexy“ genug sind. Seit den 1980er Jahren ist ein wesentlicher Anstieg von Essstörungen zu verzeichnen. Viele Wissenschaftler*innen sehen diesen Anstieg durch die Medien beeinflusst. Auch Fernsehshows wie Heidi Klums „Germanys next Topmodel“ fördern laut Psychiater*innen Essstörungen wie Magersucht. Eine Studie kam sogar zu dem Schluss, dass von 241 essgestörten Patientinnen 70 angaben, dass GNTM einen starken Einfluss auf ihre Erkrankung gehabt habe.

Weiterhin hat geschlechterdiskriminierende Werbung Einfluss darauf, wie wir andere Menschen wahrnehmen und behandeln. Die Darstellung von „Männlichkeit“ geht oft einher mit Aggressivität und geringer sozialer Kompetenz. Frauen hingegen werden als weniger autoritär und oftmals nur als „Deko“ dargestellt. Die stereotypen Geschlechterbilder können mit Antipathien gegenüber dem anderen Geschlecht, mit dem Vorwurf der „Mitschuld“ von Frauen an Vergewaltigungen und einer geringeren Akzeptanz gegenüber Geschlechtergerechtigkeit einhergehen.

WAS ES NOCH ZU TUN GIBT

Geschlechterungleichheit ist noch heute ein großes Problem in Sachsen und Deutschland. Wir fordern daher:

  • die Förderung eines modernen, emanzipierten Frauen*- und Familienbildes in der sächsischen Landes- und Kommunalpolitik im Freistaat Sachsen,
  • die Stärkung der Gleichstellungsbeauftragten in den sächsischen Kommunen
  • einen Betreuungsschlüssel für Kindertagesstätten von 1:3
  • eine angemessene, also höhere Entlohnung und Anerkennung von Sozial- und Erziehungsberufen
  • die Integration von Männern in soziale Berufe
  • Aufklärungsarbeit in Schulen über Sexismus und Lookismus in Medien und Werbung

 

Beschluss als Dokument herunterladen: PDF



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