26. September 2015

Unterschiedliche Lebensweisen anerkennen



Beschluss der 3. Landesmitgliederversammlung 2015

26.09.2015 | Dresden

 

Seit den 1960er Jahren hat sich viel verändert in der Art und Weise, wie Menschen zusammenleben, und auch rechtlich hat sich einiges verbessert. Damals galt die Ehe zwischen Mann* und Frau* noch als Norm, während andere Lebensformen quasi nicht geduldet wurden. Mit der Kommune I entstand 1967 die berühmteste Wohngemeinschaft der Bundesrepublik. Die sexuelle Revolution schritt voran und bereits 1969 entfiel der Tatbestand der Kuppelei in der Bundesrepublik wie bereits ein Jahr zuvor in der DDR. So wurden langsam Liebesbeziehungen auch außerhalb der Ehe eine Alternative. Mit der Lösung vom alten Bild der Ehe aus den 1950ern, der Erfindung der Antibabypille und der Abkehr der konservativen Sexualmoral schritt auch langsam die Emanzipation der Frau* voran.

Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches, der zunächst noch aus der Strafgesetzgebung der Nationalsozialisten stammt und sexuelle Handlungen zwischen Männern* verbot, wurde zunächst 1973 stark abgeschwächt und erst 1994 komplett gestrichen. Homosexuelle Beziehungen konnten sich so nur langsam etablieren.

Heutzutage sieht die Situation ganz anders aus. Vielfalt hat begonnen sich breit zu machen. Statt nur Studierender wohnen nun auch Senior*innen in WGs, teils auch zusammen mit anderen Generationen. Single zu sein ist gesellschaftlich stärker akzeptiert und zu der Zweierbeziehung haben sich auch polyamore Beziehungen gesellt. Welchem Geschlecht die einzelnen Partner einer Liebesbeziehung angehören ist ebenso unwichtig wie das Alter. Jedoch ist diese kurze Aufzählung ein Idealbild. Auch wenn sich neben der heteronormativen Zweierbeziehung/ Ehe weitere Lebensweisen und Familienbilder etabliert haben, mangelt es zumeist immer noch an Akzeptanz und rechtlicher Anerkennung. Im Nachfolgendem werden Vorschläge gemacht, welche eine Verbesserung und eine Anpassung an die Lebensverhältnisse der Einzelnen zur Folge haben sollen:

AKTIONSPLAN FÜR AKZEPTANZ DER VIELFALT VON LEBENSWEISEN

Der von der Großen Koalition im Freistaat Sachsen vorgeschlagene Aktionsplan wird grundsätzlich begrüßt. Jedoch ist noch nicht bekannt, wie dieser ausgestaltet werden soll. Die Landesregierung muss hierbei dafür Sorge tragen, dass insbesondere queere Lebensweisen, Menschen mit Behinderung und People of Colour in sämtlichen Bereichen des staatlichen Wirkens berücksichtigt werden. In Schulen gilt „schwul“ immer noch als eines der häufigsten Schimpfwörter, was deutlich macht das bereits hier angeknüpft werden muss um Vorurteilen gegenüber LSBITT*Menschen entgegenzutreten. Aber auch PoC müssen stärker in den Fokus gerückt werden. Gerade die letzten Monate haben gezeigt wie akut das Problem von Rassismus in Sachsen ist. Die Grüne Jugend fordert deshalb eine transparente Ausarbeitung und rasche Umsetzung des Aktionsplans. In Schulen müssen die genannten Gruppierungen fächerübergreifend behandelt werden bzw. Erwähnung finden. So könnten zum Beispiel in Matheaufgaben muslimische Namen auftauchen oder im Biologieunterricht Inter- und Transgeschlechtlichkeit behandelt werden. Aber auch die Polizei muss stärker in diesen Bereichen geschult werden. Auch hier wird teils von rassistischen Motiven berichtet. Die Schaffung einer polizeilichen Anlaufstelle für qeerphobe Straftaten, ähnlich zu Berlin, sollte ebenfalls Bestandteil sein.

Aber auch die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung muss in dem Plan abgebildet werden. Diese sind zumeist nicht im alltäglichen Leben präsent und werden teils aktiv am gemeinsamen Zusammenleben gehindert. 2009 hat sich Deutschland mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Inklusion in den Schulen voranzutreiben. Nach der Kultusministerkonferenz betrug der Inklusionsanteil 2013/14 jedoch nur 28,8% in Sachsen. Dabei würde insbesondere ein gemeinsamer Schulbesuch für mehr Akzeptanz unter den Kindern und Jugendlichen führen. Die Aufnahme dieses Themas in den Aktionsplan ist also unabdingbar.

SCHAFFUNG EINES DRITTEN GESCHLECHTS IN AMTLICHEN DOKUMENTEN

In der Bundesrepublik leben schätzungsweise 80 000 intersexuelle Menschen. Diese sind biologisch nicht eindeutig als männlich oder weiblich zuzuordnen. Seit 2013 können Eltern bei Uneindeutigkeit auf die Eintragung des Geschlechts ihres Kindes in das Geburtenregister verzichten und stattdessen ein X vormerken lassen. Jedoch bedeutet dies nicht die Einführung eines dritten Geschlechts ins Personenstandsgesetz sondern lediglich die Nichteintragung. Interessenverbände befürchten deshalb einen verstärkten Zwang zur Zuordnung zu einem Geschlecht sowie vermehrte operative Angleichungen. Um der gesellschaftlichen Realität Sorge zu tragen, wird deshalb die Schaffung eines dritten Geschlechtes gefordert. Weiterhin finden sich auch Trans*Personen nicht im binären Geschlechtssystem wieder, was die Notwendigkeit einer besseren gesetzlichen Regelung nur noch mehr verdeutlicht.

ÖFFNUNG DER EHE UND LEBENSPARTNER*INNENSCHAFTEN FÜR ALLE

Bereits seit 2001 existiert das Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft. Allerdings stehen bis heute Ehepartner*innen mehr Rechte zu als Lebenspartner*innen. Eine Angleichung musste die letzten Jahre oft mit Hilfe von Verfassungsklagen gegen den Willen der CDU/ CSU durchgesetzt werden. Jedoch würde auch eine Aufrechterhaltung der bisherigen Lebenspartnerschaft in Zusammenhang mit einer Gleichstellung dieser gegenüber der Ehe weiterhin eine Diskriminierung von queeren Zweierbeziehungen bedeuten, denn gleiche Liebe verdient auch den gleichen Namen.

Gleichzeitig bedeutet das aktuelle Konstrukt der Ehe und der Lebenspartnerschaft eine alleinige Berücksichtigung des binären Geschlechtssystems. Während die Ehe noch als Verbindung zwischen Mann und Frau definiert ist, berücksichtigt die aktuelle Form der Lebenspartnerschaft quasi nur Mann-Mann- und Frau-Frau-Beziehungen. Menschen, die sich jedoch wie Trans* und Inter*Menschen nicht in einem der beiden propagierten Geschlechter wiederfinden, sind außen vor. Die Grüne Jugend Sachsen setzt sich deshalb für eine Eheöffnung unabhängig des Geschlechts ein. Alle bisherigen Lebenspartnerschaften sollen dabei das Recht bekommen, ihre Beziehung innerhalb von drei Jahren ohne Aufwand in eine Ehe umzuwandeln.

Oftmals wird von den Gegner*innen einer Eheöffnung das Argument angebracht, nur eine Mann-Frau-Beziehung könnte Kinder zeugen und deshalb müsse der Staat eben diese fördern. Jedoch müsste der Staat dann die Eltern mit Kindern finanziell entlasten und nicht die Eheleute. Immerhin lebte 2014 fast jedes dritte Kind außerhalb einer Ehe und auch nicht jede Ehe bringt auch Kinder hervor, wird aber dennoch steuerlich entlastet. Deshalb wird eine Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer Familienförderung gefordert.

Gleichzeitig leben heutzutage immer mehr Menschen außerhalb einer Ehe. Wurden 1950 noch 11 Ehen je 1000 Einwohner*innen geschlossen, so waren es 2014 nur noch 4,6. Gleichzeitig wird jede dritte Ehe geschieden. Viele Paare außerhalb der Ehe wünschen sich dennoch eine Anerkennung ihrer Beziehung sowie eine rechtliche Absicherung. In Frankreich wurde deshalb bereits 1999 der Zivile Solidaritätspakt als mögliche zivilrechtlicher Partnerschaftsform geschaffen. Deshalb fordert die Grüne Jugend Sachsen auf Vorbild dessen die Schaffung der Lebenspartner*innenschaft als Alternative zur Ehe, jedoch mit einer anderen rechtlichen Stellung als der jetzigen Ehe und der jetzigen „Lebenspartnerschaft“. Diese soll ebenso allen Menschen offen stehen, egal welches Geschlecht die Partner*innen haben. So profitieren von der Lebenspartner*innenschaft nicht nur Liebesbeziehungen sondern auch andere Lebensweisen, die füreinander einstehen wollen. So können z.B. auch Geschwister gemeinsam eine rechtlich abgesicherte Familie bilden oder auch zwei Singles, die sich dazu entschlossen haben, gemeinsam ein Kind zu bekommen.

In folgenden Punkten soll ein gemeinsames Zusammenleben geregelt sein:

  • Gütergemeinschaft: auf Wunsch können die Güter als gemeinsames Eigentum geteilt werden
  • Rente/ Sozialversicherungen: gleiche Regelung wie bei Ehepartner*innen
  • Krankheitsfall: Lebenspartner*innen sind Ehepartner*innen gleichgestellt
  • Pflegerecht: Lebenspartner*innen sind Ehepartner*innen gleichgestellt
  • Erbrecht: Lebenspartner*innen sind Ehepartner*innen gleichgestellt
  • Sorgerecht und Adoption: eine gemeinsame Adoption und das Teilen des Sorgerechts ist möglich
  • Unterhalt: Lebenspartner*innen sind sich gegenüber unterhaltspflichtig, ähnlich wie bei Ehepartner*innen

Voraussetzung für die Schließung einer Lebenspartner*innenschaft ist, dass die beteiligten Partner*innen geschäftsfähig sind und einen gemeinsamen Wohnsitz haben (Ausnahmen können genehmigt werden). Das verwandtschaftliche Verhältnis zueinander spielt keine Rolle. Die Auflösung erfolgt durch Tod, Eheschließung einer beteiligten Person oder durch einseitig erfolgenden Antrag auf Auflösung.

MEHR-PERSONEN-BEZIEHUNGEN

Damals wie heute bilden sich zwischen Menschen nicht nur Zweierbeziehungen sondern auch Konstellationen mit mehreren Personen. Während insbesondere Familien bereits durch ihre biologische Abstammung rechtlich abgesichert sind, gibt es jedoch noch eine Vielzahl von familienartigen Strukturen, die füreinander einstehen, jedoch im Recht keine Berücksichtigung finden. Beispiele hierfür sind Mehr-Generationen-Wohngemeinschaften, polyamore Beziehungen und Co-Familien mit mehreren Elternteilen. Um der Lebenswirklichkeit der Gesellschaft zu entsprechen und auch eine rechtliche Absicherung ähnlich einer biologisch miteinander verwandten Familie zu garantieren, soll die Lebenspartner*innenschaft deshalb in Form eines Familienvertrages auch mehr als zwei Personen offen stehen.

ELTERNSCHAFT UND ABSCHAFFUNG DES ABSTAMMUNGSPRINZIPS

Die Grüne Jugend Sachsen fordert die Abschaffung des Abstammungsprinzips. Das biologische Verhältnis zweier Personen soll nicht mehr ausschlaggebend für ihre rechtliche Stellung sein. Aktuell ist bei der Geburt eines Kindes beispielsweise nicht die Möglichkeit gegeben zwei Personen gleichen Geschlechts als Elternteile in die Geburtsurkunde eintragen zu lassen. Denn die Mutter ist automatisch die Frau*, die das Kind geboren hat und das Gesetzt fordert weiterhin die Eintragung eines Vaters in die Geburtsurkunde. Eine zweite Mutter kann erst durch Adoption das Sorgerecht erhalten. Hierfür ist allerdings eine Eingetragene Lebenspartnerschaft nötig.

Bisher ist es auch nicht möglich, dass mehr als zwei Personen das gemeinsame Sorgerecht erhalten können. Eine polyamore Beziehung oder eine Co-Familie aus mehreren Personen/ Paaren kann maximal zwei sorgeberechtigte Elternteile „benennen“. Die anderen Familienmitglieder stehen offiziell in keinem Bezug zu ihren Kindern. Dies kann insbesondere dann problematisch werden sobald, den beiden rechtlichen Eltern etwas zu stoßen würde. Diese Regelungen stellen eine Missachtung des Kindeswohls dar, da Eltern nicht die Möglichkeit bekommen sich gemeinsam liebevoll um ihre Kinder zu kümmern bzw. rechtlich nicht abgesichert werden.

Stattdessen werden ihre Lebensweisen zu Gunsten der heteronormativen Mutter-Vater-Kind-Familie diskriminiert. Im Rahmen der geforderten Lebenspartner*innenschaft soll deshalb auch das Sorgerecht auf mehrere Personen aufgeteilt werden können.

 

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