11. Januar 2015

Sächsische Verhältnisse überwinden: Rassismus aus der „Mitte der Gesellschaft“ bekämpfen!



Beschluss der 1. Landesmitgliederversammlung 2015

11.01.2015 | Wurzen

 

Sie nennen sich „die Mitte der Gesellschaft“, bestreiten stets, Rassist*innen zu sein und sehen sich selbst als Opfer einer linken Medienkampagne. Die verschiedenen Gruppierungen, die seit Wochen auf Sachsens Straßen für eine weitere Verschärfung des Asylrechtes demonstrieren, mögen sie auch sehr unterschiedliche Teile der Gesellschaft repräsentieren, eint doch ihr nationalistisches und zum Teil auch sozial-chauvinistisches Weltbild. Angetrieben werden sie von ihrer Angst und ihrem Hass gegenüber allem vermeintlich Fremden. „PEGIDA“, „LEGIDA“, „Chemnitz wehrt sich“ und viele andere Gruppierungen sind aber nur Auswüchse einer bereits seit Jahren in Sachsen verankerten nationalkonservativen Ideologie, die längst auch Eingang in Politik, Strafverfolgung und Rechtsprechung gefunden hat. Es wird Zeit, mit diesen typisch sächsischen Verhältnissen aufzuräumen!

„BESORGTE BÜRGER*INNEN“ UND NAZIS: GEMEINSAM GEGEN „ASYLANTEN“

Es ist vollkommen egal, wie viele „Bürger*innen“ vor einer geplanten oder vorhandenen Flüchtlingsunterkunft protestieren, Initiator*innen sind meist NPD und rechte Kameradschaften. Wer sich daran beteiligt, weiß das auch. In Ottendorf-Okrilla bei Dresden protestierten im Oktober 600 Menschen gegen eine dort geplante Unterkunft. NPD-Funktionär*innen und bekannte Neonazis standen auf einem Dach und schrien ihre Hasstiraden in die Nacht, umjubelt von ihren Kamerad*innen und „besorgten“ Bürger*innen gleichermaßen.

Andernorts in Sachsen ist das nicht anders. Ob in Chemnitz, Bad Schandau oder Bautzen: Überall zeigen Menschen dieser Tage nur sehr wenig Respekt gegenüber dem im Grundgesetz verbrieften Recht auf Asyl. Wir sind entsetzt darüber, wie anschlussfähig Rassismus, Islamphobie und Nationalismus in großen Teilen der sächsischen Bevölkerung sind.

DIE BÜRGERLICHE MITTE UND IHRE DIFFUSEN ÄNGSTE

Als die Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Juni 2014 ihre Großoffensive startete und in kürzester Zeit und durch Anwendung grausamster Gewalt große Teile des Iraks eroberte, folgte, eine weltweite Verbreitung von Angst und Panik. Da Furcht sehr oft auch Hass mit sich bringt, wurde wieder einmal eine gesamte Religion zum Feindbild erklärt. Der Islam ist mit 1,6 Milliarden Gläubigen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Welt. Dass radikale Islamist*innen nur einen winzigen Bruchteil davon ausmachen, rückte, wie so oft, in den Hintergrund.

Als Mitte Oktober Kurd*innen in Dresden mit einer Demonstration ihre Solidarität mit den Bewohner*innen der belagerten syrischen Stadt Kobanê zeigten, sahen die Initiator*innen der wöchentlichen „Abendspaziergänge“ darin den Beweis dafür, dass nun Glaubens- und Stellvertreterkriege auf deutschem Boden ausgetragen werden. Genauso grotesk wie diese Interpretation einer Demonstration, die sich gegen Krieg und religiösen Fanatismus richtete, ist der Name der anschließend gegründeten Gruppierung: „PEGIDA“.

In kürzester Zeit bildete sich eine Gruppierung, die vorgibt, in der „bürgerlichen Mitte der Gesellschaft“ zu stehen und in der Tradition der Montagsdemonstrationen des Wendeherbstes 1989 friedlich gegen religiösen Fundamentalismus und zugleich auch für Demokratie und Freiheit zu demonstrieren. Dabei schreckt sie aber nicht davor zurück, zur Verwirklichung ihrer Ziele auch Bündnisse mit Hooligans und Rechtsextremen einzugehen.

WAS WIRKLICH HINTER PEGIDA STECKT

Zwar wurde von Beginn an stets betont, man sei eine gewaltfreie und bürgerliche Bewegung, doch kam es im Nachgang der sogenannten „Montagsdemonstrationen“ immer wieder zu Verfolgungsszenen und gewaltsamen Übergriffen auf Andersdenkende und Menschen, die nicht in ihr rassistisches Weltbild passen, wie zuletzt am 22. Dezember 2014 an der Centrum Galerie in Dresden. Als die Betroffenen versuchten die Übergriffe anzuzeigen, wurden sie von der Polizei abgewiesen. Wie passt es in das Konzept einer „friedlichen“ und „bürgerlichen“ Demonstration, wenn rechte Hooligans Jagd auf Menschen anderer Herkunft, Religion oder mit einer anderen Meinung machen?

Für uns ist jedenfalls klar, dass wir es nicht mit einer gutbürgerlichen Friedensdemo zu tun haben, sondern mit dem erneuten Versuch, Nationalismus in all seinen widerlichen Ausprägungen salonfähig zu machen.
Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Einträge bei Facebook ansieht. Dort wird der Islam regelmäßig als „feindliche Religion“ bezeichnet. Abgesehen davon, dass die Angst vor einer Islamisierung absolut unbegründet ist, werden hier alle Muslim*innen mit einigen wenigen Fundamentalist*innen gleichgesetzt. Weiterhin wird offen gegen Asylsuchende gehetzt. Dabei werden alle Ausländer*innen unter Generalverdacht gestellt, kriminelle Machenschaften im Sinn zu haben.

Vorurteile und rassistische Diskriminierung gehören bei PEGIDA ebenso zum „guten Ton“ wie die Hetze gegen „linksfaschistische Gutmenschen“ und die „Mainstream-Medien“. Zwar wird stets beteuert, man setze sich für Pressefreiheit ein, doch wehe den Journalist*innen, die es wagen, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen. Auch beruft sich PEGIDA pausenlos auf das Recht der freien Meinungsäußerung, verkennt dabei jedoch, dass das Recht, seine Meinung zu äußern, nicht bedeutet, dass diese Meinung unwidersprochen bleiben muss.

Auch vor Äußerungen unter Verwendung des NS-Wortschatzes schrecken die Initiatoren nicht zurück. Das Wort „Volksfeind“, mit dem die Organisatoren höchstselbst die Gegendemonstrant*innen beschimpfen, entstammt der NS-Propaganda und diente zur Zeit des Dritten Reiches der Legitimierung der Verfolgung von Jüd*innen, Kommunist*innen und Oppositionellen. Die Anhänger sind mitunter noch radikaler in ihren Ansichten und schrecken nicht vor Drohungen zurück. So erhielten die Macher der kritischen Plattform „PEGIDA#watch“ wie auch Vertreter der Dresdener Studierendenschaften Morddrohungen von PEGIDA-Anhängern.

SOLIDARITÄT MIT DEN BETROFFENEN: MIT RASSIST*INNEN KANN ES KEINEN DIALOG GEBEN!

Im Hinblick auf die rassistische Hetze und den Umgang der PEGIDA mit politischen Gegnern, Politikern und Medien und auf die fehlende Dialogbereitschaft der Initiator*innen, sind wir sehr überrascht, dass landauf landab führende politische Persönlichkeiten Verständnis für PEGIDA fordern und teilweise sogar PEGIDA nach dem Mund reden.

Leidtragende dieser Entwicklung sind Flüchtlinge und Muslim*innen. Dabei sollte gerade jetzt die Politik Solidarität mit allen zeigen, die nicht in das national-konservative Weltbild der PEGIDA passen. Während der sächsische Innenminister Markus Ulbig einen Kuschelkurs verfolgt und PEGIDA so indirekt unterstützt, äußern bereits zahlreiche Muslim*innen den Wunsch, das Land zu verlassen, viele ausländische Studierende erwägen einen Wechsel an eine Hochschule außerhalb Sachsens. Die ständigen Rufe nach einem Dialog mit PEGIDA verhöhnen damit nicht nur die Opfer rechter Propaganda und Gewalt, sie gefährden auch das Zusammenleben der Menschen in unserem Land.

Sicherlich ist es wichtig, das direkte Gespräch mit Bürger*innen zu suchen, die sich in irgendeiner Weise bedroht fühlen. Diese Menschen müssen über die Faktenlage aufgeklärt werden, damit sie nicht länger von Populist*innen angezogen werden. Dialog kann ein Mittel sein, um Misstrauen gegenüber Menschen mit einer anderen Herkunft oder Religion abzubauen und Vorurteile auszuräumen.

Jedoch steht für uns eines fest: Absurde Verschwörungstheorien und diffuse Ängste können wir nicht ernst nehmen, für Hass und Fremdenfeindlichkeit können wir kein Verständnis haben, mit Rassist*innen kann es keinen Dialog geben!

Dialog kann, wenn überhaupt, nur außerhalb von PEGIDA und anderen rechtskonservativen Bündnissen und im Rahmen von Bürgerinformationsveranstaltungen stattfinden. Weder die Initiatoren von PEGIDA, noch irgendwelche sonstige rechte Brandstifter*innen haben das Recht, „das Volk“ zu vertreten und in seinem Namen zu sprechen, Forderungen aufzustellen und einen offenen Dialog als Bühne für rassistische Hetze zu missbrauchen. Offener Dialog mit solchen Personen oder Gruppierungen würde Fremdenfeindlichkeit und Gewalt legitimieren.

DAS PROBLEM SIND DIE SÄCHSISCHEN VERHÄLTNISSE!

In den Geschichtsbüchern gilt Sachsen als die Wiege der Sozialdemokratie und als Geburtsstätte des friedlichen Protestes für Freiheit und Menschenrechte. Heute ist der Freistaat auch über die Grenzen Deutschlands hinweg als Negativbeispiel für staatlich tolerierten Rassismus und gesellschaftlich anerkannten Geschichtsrevisionismus bekannt. Bereits zu DDR-Zeiten waren Vorurteile gegenüber Ausländer*innen in der sächsischen Gesellschaft verwurzelt, 25 Jahre selbstgefällige CDU-Regierung haben dies weiter zementiert.

Auch durch die Ignoranz und den Opportunismus, der in Sachsen immer noch stramm erzkonservativen CDU, konnten sich rechtsextreme Neonazis im ganzen Freistaat etablieren. Das Problem wurde jahrzehntelang totgeschwiegen und stattdessen antifaschistisches Engagement diskriminiert und kriminalisiert. Die Gerichtsprozesse gegen Markus Tervooren, Tim H. und den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König sind nur die Spitze des Eisberges. In keinem anderen Bundesland ist Engagement gegen Rechtsextremismus so starker Repression ausgesetzt. Nirgendwo sonst ist der hohe Elfenbeinturm der Extremismustheorie, die Links- mit Rechtsextremismus gleichsetzt, ein so fundamentaler Bestandteil von Politik, Strafverfolgung und Rechtsprechung. Der Rassismus aus der „Mitte der Gesellschaft“ wurde dabei ignoriert oder sich ihm angenähert.

Die besten Beispiele dafür liefert Markus Ulbig, seines Zeichens oberster Dienstherr der sächsischen Polizei und verantwortlich für deren übermäßig hartes Vorgehen gegen Demonstrant*innen und Menschen, die nicht in ihr rassistisches Weltbild passen. Erst kürzlich kündigte er die Bildung einer polizeilichen Sondereinheit gegen Asylbewerber*innen an, forderte die Einstufung Tunesiens als sogenanntes „sicheres Herkunftsland“ und stets zeigt er Verständnis für die fremdenfeindlichen PEGIDA-Demonstrationen. Stolz prahlt er mit Sachsens Abschiebequote, der höchsten in Deutschland.

Die Abschiebungspolitik in Sachsen ist an Menschenfeindlichkeit kaum zu überbieten. Geflüchtete Menschen, die keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, werden teilweise mitten in der Nacht von der Polizei abgeholt und abtransportiert. Kinder werden von ihren Familien getrennt und in unsichere Länder abgeschoben. Den Familien bleibt dann nichts anderes übrig als nachzureisen, was auch das Ziel dieser perversen Strategie ist.
Wie selbstverständlich nahm die sächsische Polizei im Sommer 2014 an der EU-Operation „Mos maiorum“ teil, einer gezielten Jagd auf Geflüchtete und Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Sächsische Polizisten*innen kontrollierten an Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln alle Menschen, die ihrer Ansicht nach nicht deutsch, sondern „fremdländisch“ aussahen und behandelten sie wie Menschen zweiter Klasse.
Diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist das Vermächtnis der DDR-Staatsmacht, denn auch die DDR war unbestreitbar ein rassistischer Staat. Die CDU-Regierungen seit 1990 sahen jedoch keinen Grund, an der Einstellung der Polizei zu Demokratie und Menschenrechten irgendetwas zu ändern.

In Sachsen sind Rassismus und menschenfeindliche Einstellungen in Teilen mehrheitsfähig. 10 % für die rechtskonservative AfD und fast 5 % für die nationalsozialistische NPD bei der Landtagswahl 2014 sind die Folge. Die NPD verpasste nach 10 Jahren im Landtag den Wiedereinzug nur knapp. Rassist*innen sind in Sachsen gut vernetzt und in die Gesellschaft eingebunden. In Sachsen war es möglich, dass sich neonazistische Terrorist*innen, die in ganz Deutschland mordeten, jahrelang unentdeckt leben konnten. Gleichzeitig konnten sich Schülerzeitungen wie die in Chemnitz publizierte „Blaue Narzisse“ zu rechten Hetzblättern entwickeln. Im Jahr 2014 besuchten NPD-Propagandist*innen sogar Schulen und verteilten dort als Hirsch verkleidet „Infomaterial“.

Doch sächsische Behörden, von Polizei bis Verfassungsschutz, sehen gekonnt in die andere Richtung und ermitteln – nachdem sie „Hinweise“ von einem NPD-Landtagsabgeordneten erhalten haben – gegen eine angebliche Antifa-Sportgruppe in Leipzig. Die Ermittlungen wurden im vergangenen Herbst eingestellt mit dem Ergebnis, dass es keine Antifa-Sportgruppe gibt.

Die rassistischen Äußerungen des in Görlitz unternehmerisch tätigen Herrn Stöcker aus Lübeck zeigen, wie anschlussfähig menschenfeindliche Ideologien für eine breite Masse sind, nirgendwo so sehr, wie in Sachsen. Weder Zuwanderung noch eine angebliche Islamisierung stellen ein Problem für Sachsen dar. Im Gegenteil: Das Problem sind die sächsischen Verhältnisse!

WIE WIR DIE SÄCHSISCHEN VERHÄLTNISSE ENDLICH ÜBERWINDEN

Angesichts dieser Auswüchse können wir nicht länger zusehen, wie sich Sachsen zunehmend zur Brutstätte der Menschenfeindlichkeit entwickelt. Wir rufen aus diesem Grund alle Menschen zum aktiven Widerstand gegen diese Tendenzen auf! Wenn jemand versucht, die Religionsfreiheit und die Meinungsfreiheit mit Hetze und Drohungen einzuschränken, wenn Vorurteile gefördert und rassistische Diskriminierung betrieben sowie die Würde des Menschen und das Recht auf Asyl mit Füßen getreten werden, ob durch PEGIDA, durch die Polizei oder durch populistische CDU-Politiker*innen, darf dies nicht unwidersprochen bleiben!

Zur Überwindung der sächsischen Verhältnisse müssen endlich konkrete Maßnahmen getroffen werden. Darum fordern wir:

  • eine bessere Demokratieerziehung sächsischer Polizist*innen und ein hartes Vorgehen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einzelner Beamt*innen.
  • die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen.
  • die Abschaffung der Demokratieerklärung, die antifaschistisches Engagement kriminalisiert. Erfolgreicher Widerstand gegen rassistisches und faschistisches Gedankengut ist nicht möglich, wenn linke Demonstrant*innen
  • systematischer Repression ausgesetzt sind und mit Rechtsextremen gleichgesetzt werden.
  • die Beendigung politisch motivierter Prozesse gegen Antifaschist*innen, die trotz meist fehlender Beweise mit einem Schuldspruch enden.
  • die Abkehr der sächsischen Politik von rechtskonservativen Ideologien.
  • Solidarität mit und Schutz von Geflüchteten und Opfern von rechter Propaganda und Gewalt durch Regierung und Behörden.
  • dass kein Dialog mit Rassist*innen auf Kosten von Geflüchteten und Andersgläubigen geführt wird.
  • die Abschaffung des Verfassungsschutzes, der erwiesenermaßen nutzlosesten Behörde in Sachsen. Vielmehr soll die Polizei endlich damit beginnen, rassistisch motivierte Straftaten konsequent zu verfolgen.
  • Land, Kommunen und Behörden auf, auf eine Willkommenskultur hinzuwirken und für eine menschenwürdige, dezentrale Unterbringung der Geflüchteten Sorge zu tragen.

Wir, die GRÜNE JUGEND Sachsen, treten für eine weltoffene Gesellschaft ein, die alle Menschen, egal woher sie kommen und egal welche Sprachen sie sprechen, willkommen heißt. Wir kämpfen für die Freiheit der Meinung und des Glaubens und für eine Welt, in der jeder Mensch jederzeit an jedem Ort frei seine Persönlichkeit entfalten kann.

 

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