24. Januar 2016

Der Debatte um Geflüchtete und Gesellschaft eine neue Perspektive geben



Beschluss der 1. Landesmitgliederversammlung 2016

24.01.2016 | Leipzig

SPRACHE IST MACHT!

Unter dem Motto „kriminelle Ausländer raus“ versuchten sich Rechtspopulist*innen und Nazis schon lange in rassistischer Stimmungsmache. Nach den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln, als es zu sexuellen Übergriffen, Diebstählen und anderen Straftaten, begangen durch Gruppen von Männern, unter denen sich auch Asylsuchende befunden haben sollen, kam, scheint es, als sei der allgemeine Diskurs nach rechts gerückt. Rechtspopulist*innen und Nazis erfahren plötzlich mit ihrer Hetze eine viel breitere gesellschaftliche Akzeptanz, als zuvor. Noch vor wenigen Jahren wäre niemand aus den Reihen des sogenannten „bürgerlichen Spektrums“ auf die Idee gekommen, ernsthaft darüber zu diskutieren, ob kriminelle Ausländer abgeschoben werden sollten. Mittlerweile ist es nicht mehr unüblich, dass auch große Teile der SPD, Teile der Linken und selbst einige Grüne in ihrer Argumentation zum Teil auf rechtspopulistische Thesen zurückgreifen.

Wir sprechen uns klar gegen jede Form von verstecktem Rassismus und Populismus aus. Wahlkampf darf nicht auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen werden. Wenn es zur Normalität wird, darüber zu sprechen, ob straffällig gewordene Menschen in Länder zurückgeschickt werden, in denen ihnen Folter und sogar der Tod drohen, dann müssen wir dem entschieden Einhalt gebieten!

Sprache trägt zur Eskalation der Debatte bei. Mit Worten, wie „Welle“, „Flut“ und „Zustrom“ ist in der Debatte eine „Krise“ geschaffen worden, die so real nicht existiert. Sie Sprache vieler politischer Akteure ist in den vergangenen Monaten aggressiver und zunehmend rassistischer geworden. Landtagsabgeordnete und Landräte der sächsischen CDU bedienen sich mittlerweile mit Freuden dem Wortschatz rechtsextremer Gruppierungen und schrecken auch nicht davor zurück, mit solchen gemeinsame Sache zu machen. So trägt die CDU in Sachsen zur Verrohung der politischen Debattenkultur bei.

FÜR EINEN MODERNEN FEMINISMUS – OHNE RESSENTIMENTS UND RASSISTISCHE VORURTEILE!

Schon im Vorfeld der Kölner Ereignisse hatten einige extrem konservative Akteur*innen, wie Julia Klöckner immer wieder die Frauenrechte im Angesicht „einer Welle von ungebildeten Islamisten“ in Gefahr gesehen. Während sie auch in der sich immer weiter zuspitzenden Debatte weitgehend eher belächelt wurde, bilden ihre Kernaussagen, nun unterstützt von auffällig vielen weißen Männern, nach der Silvesternacht den Tenor all derjenigen, die sich nicht den sogenannten „Gutmenschen“ zuordnen wollen.

Die CDU hat die Verschärfung des Sexualstrafrechts jahrzehntelang boykottiert. So stimmten 1997 im Bundestag unter anderem die Abgeordneten Ramsauer, Kauder, Steinbach und Seehofer gegen die Einführung der Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Die Scheindebatte um Abschiebungen von kriminellen Asylsuchenden bedient billige Vorurteile und bestätigt, dass die CDU mit ihrer Blockadehaltung die eigentliche Integrationsverweigerin ist. Sie ist diejenige, die Menschen ausschließt.

Wir als Grüne Jugend Sachsen sagen: Gewalt von Männern gegen Frauen ist zu ächten! Immer und überall! Frauen sind nicht verpflichtet, sich in bestimmter Art und Weise zu verhalten, damit sie nicht angegriffen werden. Gleichzeitig ist das Boot nicht voll und das ändert sich auch nicht, wenn Menschen Straftaten begehen. Dann greift der Rechtsstaat ein.

Das Sexualstrafrecht ist jedoch lückenhaft. Nach geltendem Recht werden die meisten Täter der Silvesternacht wohl nicht bestraft werden. Die Grüne Jugend Sachsen spricht sich für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts aus. Mit einer Neufassung des §177 Strafgesetzbuch soll es zukünftig nicht nur auf Gewalt, die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder die Ausnutzung einer schutzlosen Lage des Opfers, sondern auch auf die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers oder Handlung gegen den erkennbar zum Ausdruck gebrachten Willen des Opfers ankommen.

Integration ist vorurteilsfrei, aber nicht wertfrei. Die Vermittlung der Werte unserer freiheitlichen Gesellschaft, die im Grundgesetze verankert sind, ist eine zentrale Aufgabe der Integration und muss stärker in den Fokus rücken.

Die Demonstrationen von PEGIDA und anderen Gruppen zeigen aber, dass auch viele Deutsche da Nachholbedarf haben.

Wir treten entschieden für die unbedingte Achtung der Menschen- und Bürgerrechte und der Rechtsordnung in diesem Land ein. Jene, die diese verletzen, müssen dafür konsequent von den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden. Das Sparen der öffentlichen Hand am Personal in diesem Bereich muss endlich gestoppt werden.

KONSTRUKTIVE KONZEPTE ERARBEITEN – OHNE POPULISMUS!

Die Aufnahme von vielen Menschen in einem relativ kurzen Zeitraum stellt eine große organisatorisch sehr herausfordernde Aufgabe dar. Nach dem provisorischem Unterbringen in Notunterkünften folgt der wichtige Schritt der Unterbringungen in Wohnungen. In der Bevölkerung gibt es eine verzerrte Wahrnehmung über die Menschen, die zu uns kommen. Junge allein reisende Männer sind dabei keineswegs in der Überzahl. Zwar waren 2/3 der ankommenden Geflüchteten männlich, jedoch die meisten Ehemänner und Väter. Lediglich 1/5 war allein reisend. Tatsächlich sind 2/3 der zu uns kommenden Menschen Familien.

Das Versagen der Verwaltung ist das Hauptproblem in der aktuellen Situation. Zu wenige Menschen in Behörden und verkrustete Strukturen in der Verwaltung tragen zu einer Verschleppung der dringend notwendigen Prozesse bei. Momentan sind es vor allem die vielen ehrenamtlichen Helfer*innen, die für eine halbwegs funktionierenden Ablauf bei Versorgung und Betreuung der Menschen sorgen. Wir kritisieren diesen Punkt enorm. Es kann und darf nicht die Aufgabe von Ehrenamtlichen sein die Aufgaben das Staates zu übernehmen.

In Deutschland, aber besonders in Sachsen haben wir den Umstand von hohem Leerstand. Es ist besonders sinnvoll Familien mit guten Bleibeperspektiven in Wohnungen auf dem Land einzuquartieren.Insbesondere Kinder erleichtern die Integration der gesamten Familie in ländlichen Regionen. Auch Infrastruktur wie beispielsweise Schulen, die von der Schließung bedroht sind, könnten durch diese Maßnahmen erhalten werden.

Um dem entgegenzuwirken, dass die Familien nicht wieder in die großen Städte ziehen, in denen es für sie durch bestehende Communities von Landsleuten erst einmal einfacher ist, muss eine Verbindung zur Region geschaffen werden. Das gelingt am besten mit einer frühestmöglichen Arbeitsmöglichkeit. Diese wiederum ist nur mit einer Anerkennung möglich. Um eine schnellere Anerkennung zu erreichen, setzen wir uns für eine bevorzugte Behandlung von Anträgen von Familien ein, um möglichst schnell stabile Verhältnisse herzustellen.* Dazu müsste der Königsteiner Schlüssel nicht abgeschafft werden. Es ist lediglich eine verstärkte Berücksichtigung der Familienstrukturen erforderlich.

Bildung ist der Schlüssel zu Inklusion. Der Einschulung von Kindern im Schulalter ist daher großer Bedeutung beizumessen. Ohne bürokratische Hürden muss nach dem Erlernen der Grundkenntnisse deutscher Sprache eine Beschulung in Regelschulen ermöglicht werden. Dieser Prozess darf nicht Kindern mit guten Bleibechancen vorbehalten werden. Auch Kinder bei denen im Verlauf des Verfahrens nur geringe Bleibeperspektiven zu erwarten sind, müssen während ihres Aufenthalts in Deutschland die Sprache erlernen und die Schule besuchen.

Auch die schnellere Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen und Berufsqualifikationen ist dringend erforderlich. Zeugnisse und andere Dokumente sind oftmals verloren gegangen. Initiativen, die es sich zur Aufgabe machen deutsche Standards, beispielsweise im medizinischen Bereich, schnell und unbürokratisch zu lehren, um den Wiedereinstieg von Geflüchteten in den Job zu erleichtern, sind finanziell zu unterstützen. Nach dem Vorbild der Hochschule Magdeburg-Stendal in Sachsen-Anhalt wollen wir Geflüchteten in Sachsen mit Aufenthaltsgenehmigung auch bei unvollständiger Aktenlage ein Studium ermöglichen. Denn Bildung ist ein Menschenrecht.

Dies können Strukturen vor Ort leisten. Wir treten für eine schnellstmögliche und unbürokratische Vernetzung von Strukturen vor Ort ein. Dafür müssen schnell und unkompliziert die wichtigsten Akteur*innen vor Ort zusammengebracht werden, um zielorientiert an Lösungen für praktische Probleme arbeiten zu können.

Zudem fordern wir erneut die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete. Die aktuelle Regelung ist eindeutig menschenunwürdig. Sie missachtet zum Teil die Schweigepflicht der Ärzt*innen, da Behörden bei der Bearbeitung von Medikamentenkosten leicht die Erkrankung der Patient*innen herausfinden können. Jeder Mensch muss das Recht haben vollumfänglich ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Aufgabe von vor allem grünen Menschen in Verantwortung ist es, sachlich und lösungsorientiert auf Missstände hinzuweisen und rechten Populismus entschieden zu enttarnen.

DEUTSCH- UND INTEGRATIONSKURSE FÜR ALLE – VON JUNGEN MENSCHEN FÜR JUNGE MENSCHEN!

Sprache ist der Schlüssel zur Welt. Ohne den Erwerb der deutschen Sprache bleibt Asylsuchenden der Alltag in unserem Land verschlossen. Derzeit wird jedoch nur Asylbewilligten sowie Asylbewerber*innen und Geduldeten „mit guter Bleibeperspektive“ ein Deutschkurs angeboten. Geflüchteten Menschen aus Herkunftsstaaten mit einer Anerkennungsquote unter 50 Prozent wird damit die Teilnahme an Deutschkursen verweigert. So haben zehntausende Asylsuchende aus Afghanistan, Somalia und Pakistan nach den Vorgaben des Bundesinnenministeriums teilweise jahrelang keinen Zugang zum Deutschunterricht. Wer ständig Integration einfordert, muss auch irgendwann mal liefern – Bundesinnenminister de Maizière muss seine Integrationsverweigerung endlich beenden!

Wir fordern daher Deutschkurse für alle Flüchtlinge, die in Deutschland bleiben wollen, unabhängig vom Status ihres Asylverfahrens. Deutsch vom ersten Tag an ist der beste Weg, hier ein eigenständiges Leben aufzubauen. Nur mit dem Erwerb unserer Sprache schaffen wir geflüchteten Menschen die Möglichkeit, hier wirklich anzukommen. Daher ist auch das Interesse an Deutsch- und Integrationskursen so ungebrochen groß. Trotz zahlreicher Warnungen auch aus junggrünen Reihen: In Sachsen hat die Staatsregierung jahrelang verschlafen, Lehrer*innen in Deutsch als Zweitsprache und interkultureller Bildung fortzubilden.

Zugleich war noch nie eine Jugendgeneration so gut gebildet und international wie unsere. So ist es auch kein Zufall, dass gerade junge Menschen kaum Vorbehalte gegen Geflüchtete haben. Wir fordern daher ein breit angelegtes Programm, bei dem Hochschulabsolvent*innen nach Absolvieren eines Kompaktkurses bei der Vermittlung der deutschen Sprache und lebensnaher Alltagssituationen erste berufliche Erfahrungen sammeln können. Wir wollen so einen schnellen eigendynamischen Erwerbsprozess unserer Sprache anregen, vom Erwerb des lateinischen Alphabets bis mindestens zum Kompetenzniveau einer elementaren Sprachverwendung im Alltag. Zugleich wollen wir die Werte unseres Grundgesetzes und lebenspraktische Alltagssituationen vermitteln. Wir als Grüne Jugend Sachsen sind fest davon überzeugt: Unsere Generation will anpacken anstatt nur reden!

BEHÖRDLICHES VERSAGEN IST DIE URSACHE DER MEISTEN PROBLEME!

Behördliches Handeln gleicht momentan kompletter Überforderung. Verantwortlich dafür sind Land und Bund, die keine Vorbereitungen getroffen haben, obwohl schon vor zwei Jahren auf eine hohe Anzahl an zu erwartenden Flüchtenden hingewiesen wurde. Das schlägt auf die kommunale Ebene durch, die diese Fehlplanungen auszubaden hat, sodass von Provisorium zu Provisorium gehetzt wird.

Es darf nicht sein, dass manchen Landkreisen Wohnungen angeboten werden und diese das monatelang nicht bearbeiten und stattdessen weiter auf schnell eingerichtete Großunterkünfte setzen. Es darf auch nicht sein, dass der Verdacht aufkommt, die Verteilung der Geflüchteten durch einen Landkreis auf die Gemeinden sei mit dem politischen Kalkül verbunden lokale Verantwortungsträger bei der dortigen Bevölkerung missliebig zu machen. Die kurzfristige Umnutzung von Schulturnhallen ist zeitlich deutlich zu begrenzen, da sie eine andere Funktion haben und keine ideale Unterbringung für die Geflüchteten darstellen.

Ehrenamtliche engagieren sich mit viel zeitlichem und persönlichem Einsatz für die Integration der Geflüchteten. Sie versuchen damit die Lücke zu schließen, die staatliches Nichthandeln dort bislang darstellt. Sie dürfen nicht nur in Sonntagsreden gelobt werden, sondern müssen endlich durch staatliche Programme entlastet werden. Der Staat hat hier eine zentrale Aufgabe der Integration zu erfüllen und darf sein Versagen nicht Ehrenamtlichen aufbürden.

Manch Unmut ist also von den Behörden verschuldet und schadet damit sowohl der Akzeptanz der Geflüchtetenpolitik als auch der Integration der Geflüchteten in Deutschland. Wenn Geflüchtetenpolitik erfolgreich sein soll, müssen die unteren Verwaltungsebenen personell gut ausgestattet, gut informiert und mit anderen Behörden vernetzt sein. Landkreise, Landes- und Bundesbehörden müssen endlich liefern!

MENSCHENRECHTE WAHREN – ENTSCHIEDEN GEGEN RECHTE HETZE!

Wir als Grüne Jugend sind gefordert. Wir müssen müssen die Gesellschaft und auch die Grünen immer wieder aufrütteln.

Weder unreflektiertes Feiern als Helfer*innenpartei ist gefragt, noch rechter Populismus. Wir müssen laut sein und ein Gegengewicht zu den Rechtspopulist*innen in Sachsen bilden. Wir verteidigen Menschenrechte und eine humanitäre Grundhaltung. Ohne Wenn und Aber.

 

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