29. Oktober 2022

Revolution in der Schule – Veränderung im Schulsystem, jetzt!



Beschluss der 2. Landesmitgliederversammlung 2022

29.10.2022 | Dresden

Ständiger Leistungsdruck, chronische Müdigkeit, stumpfer Unterricht und
vollgestopfte Klassen: Das alles ist für Schüler:innen in Sachsen bitterer
Alltag. Für uns ist klar: Es braucht radikale Veränderungen am Bildungssystem
und in den Schulen Sachsens. Eine Ausdünnung des Lehrplans, Weiterbildungen der
Lehrkräfte und eine Renovierung sowie Digitalisierung der Schulen wurde in den
letzten Jahren stark verschleppt und muss jetzt schnellstmöglich aufgeholt
werden. Kritik am Schulsystem und konkrete Forderungen dürfen nicht mehr als
utopisch und realitätsfern abgetan werden, sondern müssen nun endlich umgesetzt
werden. Wir haben unsere Kritik unter verschiedenen Aspekten formuliert:

Schulbeginn

Mate, Kaffee, Red Bull – auf den Schulbänken sind viele koffeinhaltige Getränke
zu sehen. Ein Mittel, um sich trotz des frühen Schulbeginns wachzuhalten. In
vielen Schulen beginnt der Unterricht schon 7:30 Uhr. Und das, obwohl
wissenschaftlich bewiesen ist, dass Jugendliche einen anderen Bio-Rhythmus als
Erwachsene haben. Sie werden abends später müde und morgens später wach. Die
meisten Schüler:innen sind daher chronisch übermüdet. Studien belegen, dass ein
Schulbeginn von 8.30 Uhr viele positive Effekte hat: im Schnitt bessere Noten,
ein geringeres Risiko für Depressionen und ein geringerer Konsum von
koffeinhaltigen Getränken. Gut für Konzentration und Gesundheit.

Ein späterer Schulbeginn würde sich also positiv auf Noten und Alltag auswirken.

Lehrplan und Leistungsdruck

Wir lernen für die Schule, nicht fürs Leben. Das ist ein schnulziger
Kalenderspruch, entspricht aber leider der Wahrheit. Fünfmal die Woche
Unterricht bis nachmittags –der Lehrplan ist vollgestopft. Vollgestopft mit
teilweise unnötigen Inhalten. Was wir brauchen, ist kein Unterricht über den
Aufbau von Schmetterlingsblütlern, sondern Unterricht, der uns etwas fürs Leben
bringt; Beispiele dafür wären Fächer wie Ernährung oder den Umgang mit digitalen
Medien. Doch der Lehrplan muss nicht nur verändert, sondern Teile müssen auch
gestrichen werden. Wichtige Inhalte müssen teils unter Zeitdruck in unsere Köpfe
„rein geprügelt“ und nur für die nächste Arbeit erlernt werden. Das sogenannte
„Bulimie-Lernen“ vermittelt Lehrinhalte nur kurzfristig und sorgt für keinen
langfristigen Lerneffekt. Zeit für Rückfragen oder das Vertiefen von Schulstoff
bleibt meist nicht.

Selbst nach der Schule hört der Stress nicht auf. Es müssen noch Hausaufgaben
erledigt werden, welche nach wissenschaftlicher Evidenz keinen Nutzen zum Lernen
haben. Neben der Schule müssen die Schüler:innen auch noch für anstehende
Arbeiten lernen. All dies und unser deutsches Notensystem sorgt für einen
ungemeinen Leistungsdruck bei den Schüler:innen.

Wir sollten die Ansicht, dass wir ohne Druck nicht lernen, überdenken und die
Schule zu einem angenehmen Lernspace entwickeln.

Noten

Der Kampf um gute Noten ist für Schüler:innen Alltag. Dabei kann eine einzelne
Zahl in vielerlei Hinsicht gar nichts über die Kompetenz zu einem Thema
aussagen. Die Note 2 auf dem Zeugnis kann dabei für einen Schnitt von 1,6 bis
2,4 stehen. Doch auch in anderen Punkten sind Noten grundlegend falsch. Noten
spiegeln eher kurzfristige Lerneffekte und Lernerfolge wider. Sie zeigen aber
weder, welche Fortschritte Schüler:innen gemacht haben, noch, welche Kompetenzen
sie haben. Außerdem haben Lehrerkräfte einen riesigen Spielraum auf die Benotung
der Schüler:innen. Dabei haben Faktoren wie die Stimmung der Lehrkraft, Namen
der Schüler:innen, aber auch Faktoren wie Geschlecht, soziale Herkunft und
eventuell vorhandene Migrationsgeschichte einen großen Einfluss auf die
Benotung. Eine Alternative zu dem klassischen Notensystem sind dabei
Dialogformen, wie Eltern-Lehrkraft-Schüli Gespräche. Diese haben zudem den
Vorteil, dass langzeitige Entwicklungen des Lernerfolgs detaillierter
beschrieben und kommuniziert werden können. Als Alternative zum Zeugnis könnten
Zeugnistexte oder sogenannte Rasterzeugnisse eingesetzt werden, in denen die
schulische Leistung in verschiedenen Bereichen und Kompetenzen geschildert wird.

Eine objektive Alternative zu den klassischen Schulnoten, die den Leistungsdruck
minimiert und langfristige Lernerfolge widerspiegelt, ist daher erstrebenswert.

Sportunterricht

Für viele Highlight des Stundenplans – für manche Schrecken der Woche. Vielen
Schüler:innen wird durch den Sportunterricht der Spaß an Sport genommen. Und
das, obwohl Sport und Bewegung existenziell für die Gesundheit ist. Spiele wie
Völkerball reproduzieren Mobbing und verstärken Machtverhältnisse zwischen
verschiedenen Schüler:innen. Expert:innen empfehlen kleinere Gruppen von bis zu
14 Schüler:innen mit gleichem Niveau. Die Benotung im Sport basiert auf dem
Körperaufbau: Typisch „unsportliche“ Schüler:innen werden daher grundsätzlich
schlechtere Noten bekommen. Es wird nur danach geschaut, wie schnell gerannt
oder wie weit gesprungen wird, aber nicht, wie sehr mensch sich anstrengt. Eine
große Schülerin springt daher mit weniger Anstrengung grundsätzlich weiter als
eine kleine Schülerin mit mehr Anstrengung. Bei diesen Bewertungsformen wird in
keinerlei Hinsicht Rücksicht auf die individuellen Voraussetzungen der Kinder
und Jugendlichen genommen und das veraltete Wettkampfdenken wird gefördert.
Außerdem diskriminiert die binäre Notenvergabe (verschiedene Werte für Jungen
und Mädchen) und das nicht Vorhandensein von geschlechtsneutralen Umkleiden
nicht-binäre Schülis.

Sport ist wichtig und gehört auch in den Stundenplan, doch er sollte Spaß
machen. Dafür braucht es eine intakte Sporthalle, funktionierende Geräte, ein
großes Sportfeld, das Platz für die verschiedensten Sportarten bietet, und
Lehrer:innen, die auf jeden Einzelnen eingehen.

Digitalisierung und Renovierung

Die Situation in manchen Schulen ist prekär. Marodes Gebäude, alte Turnhalle und
weit und breit keine Technik. All das ist in sächsischen Schulen keine
Seltenheit. Die Coronapandemie hat erneut gezeigt, wie schleppend die
Digitalisierung an den Schulen läuft. Egal, ob Verteilung der Aufgaben über
Lernsax oder Online-Meeting – Komplikationen gab es immer. Das hatte
verschiedene Gründe: Die Lehrkräfte wurden einfach nicht mit moderner Technik
ausgestattet, die Lernsax Server veraltet und Schüler:innen mussten sich mit
ihrer Technik, teilweise einfach nicht vorhanden, zufriedengeben. Doch mit Ende
des Lockdowns hat dieses Problem nicht aufgehört. In den Klassenzimmern findet
mensch meist immer noch Polylux und Tafel anstelle eines Smartboards. Und wenn
es mal ein digital ausgestattetes Zimmer gibt, wissen die Lehrkräfte kaum, wie
mit der Technik umzugehen ist oder sie haben ihren Unterricht nicht
digitalisiert. Und auch die Schüler:innen schreiben noch mit Papier und Stift.
Dabei würde der Unterricht mehr Spaß machen und mensch würde mehr lernen, wenn
Lehrkräfte auch mal ein Kahoot Quiz oder ein cooles Lernvideo in den Unterricht
einbauen würden. Nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die allgemeine
Renovierung der Schulen wurde in Sachsen verpennt. In manchen Schulen sind die
Fenster im Winter undicht, es regnet herein, die Toiletten sind in einem
unzumutbaren Zustand. Aber auch wenn all dies nicht der Fall ist: Wir verbringen
einen großen Teil unseres Lebens in diesen Gebäuden. Daher sollten die Schulen
ein moderner und angenehmer Ort zum Lernen sein. Diese Aufgabe kann aber nicht
von den Kommunen gestemmt werden, da finanzielle Mittel fehlen.

Wir fordern daher ein Sonderpaket vom Freistaat Sachsen, mit dem die Schulen
weitgehend digitalisiert und nachhaltig renoviert werden können.

Schulpersonal

Immer wieder stößt mensch im Internet auf Memes: Lehrkräfte wären unfähig oder
könnten nicht mit Kindern umgehen. Auch wenn das sicherlich nicht der Wahrheit
entspricht und stark überspitzt dargestellt ist, hat es einen wahren Kern. Denn
auch wenn Pädagogik ein Teil des Studiums ist, fehlt den meisten Lehrkräften die
Sensibilisierung für den richtigen Umgang mit psychischen Problemen, Mobbing,
Rassismus, Transfeindlichkeit etc. Gerade, weil die Schule ein Auffangbecken für
Kinder und Jugendliche mit unter anderem einem schwierigen Elternhaus ist, muss
die Schule zunächst ein Hilfsangebot bereitstellen. Lehrkräfte müssen über
diverse psychische Erkrankungen informiert und über den Umgang geschult sein.
Nein, Lehrkräfte müssen keine Psycholog:innen sein, jedoch als
Vertrauenspersonen fungieren und im ersten Schritt für Betroffene Sicherheit
geben und Verständnis schaffen. Aufgrund des Lehrermangels findet man in den
Schulen häufig auch Quereinsteiger, denen diese pädagogische Ausbildung
grundlegend fehlt. Für diese müssen pädagogische Weiterbildungen verpflichtend
sein. Auch über den richtigen Umgang mit Mobbing und verschiedenen Arten von
Diskriminierung müssen Lehrkräfte geschult und informiert werden. Die vier- bis
sechsfach erhöhte Suizidrate bei queeren Jugendlichen zeigt, dass Betroffene und
Opfer konsequenter in Schutz genommen werden müssen. Doch auch Lehrkräfte selbst
können Grund für Diskriminierung sein. In solchen Fällen muss trotz
Lehrermangels konsequenter gehandelt werden. Denn neben Lehrkräften muss auch
die Schulleitung geschult und sensibilisiert werden, um Fehlverhalten von
Lehrkräften nicht als schlechte Laune abzutun, sondern konsequent zu
sanktionieren. Dafür bedarf es ein Netzwerk bei den diskriminierende
Lehrer*innen gemeldet werden können.

Lehrkräften kommt bei der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen eine immense
Verantwortung zu. Gerade deshalb ist ein sensibler und professioneller Umgang
mit der Psyche von großer Bedeutung.

Begabungsfächer

Die Debatte um sogenannte „Begabungsfächer“ scheint nicht neu. Schon lange wird
diskutiert, ob die Benotung von Fächern wie Kunst, Musik (oder das genannte
Sport) fair ist. Wir sagen nein: Ob mensch gut singen oder schön zeichnen kann,
hat wenig mit Anstrengung oder Übung zu tun. Ja, es ist möglich, die eigene
Stimme zu trainieren oder bestimmte Hangriffe beim Malen zu üben. Doch wollen
wir Kinder und Jugendliche gegen ihren Willen zum stundenlangen
Gesangsunterricht verdonnern?

Die Notenvergabe in den Begabungsfächern beruht größtenteils auf Talent und eine
Benotung ist nicht fair.

Als GRÜNE JUGEND Sachsen fordern wir konkret:

  • einen späteren Schulbeginn um 9 Uhr, um die Gesundheit der Schüler:innen
    zu stärken!
  • die Ausdünnung des Lehrplans, um den Leistungsdruck zu minimieren.
  • die Ergänzung des Lehrplans um lebensrelevante Themen.
  • einen objektiveren Ersatz zu Noten, die Lernerfolge widerspiegelt, um den
    Leistungsdruck zu minimieren.
  • eine starke Veränderung des Sportunterrichts, die eine Alternative zur
    klassischen Notenvergabe nach Leistung vorsieht und Machtverhältnisse
    zwischen Schüler:innen senkt. Der Fokus sollte beim Sportunterricht beim
    Spaß an Sport und Bewegung liegen.
  • ein Sonderpaket vom Freistaat Sachsen, welches zur großräumigen
    Digitalisierung und nachhaltigen Renovierung eingesetzt werden kann.
  • die Sensibilisierung des Schulpersonals im Umgang mit Themen wie
    psychischen Erkrankungen, Mobbing und Diskriminierung im Schulalltag.
    Dafür bedarf es eine Veränderung des Studiums sowie die Verpflichtung,
    Weiterbildungen zu besuchen.
  • die Abschaffung von Noten in den Begabungsfächern.


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