29. April 2023

Eintreten für Forderungen der kurdischen Bewegung nach einem Ende der militärischen Gewalt in Nord- und Ostsyrien sowie dem Kurdistan-Irak



Beschluss der 1. Landesmitgliederversammlung 2023

29.04.2023 | Chemnitz

Die Grüne Jugend Sachsen solidarisiert sich mit der kurdischen Bewegung in
Deutschland und unterstützt die Einbindung der kurdischen Bewegung in
demokratische Prozesse.

Infolge der Invasion in Afrîn 2018 gab es innerhalb der Grünen Jugend auf
Bundesebene umfangreiche Solidaritätsbekundungen mit dem Projekt der
Autonomieregion Nord- und Ostsyrien, damals auch Rojava genannt. Inzwischen
umfasst das Gebiet weitere Teile mit arabisch-sunnitischer Bevölkerungsmehrheit,
weswegen „Rojava“ (wörtlich: „der Westen“ Kurdistans) nicht mehr das gesamte
Gebiet beschreibt. Die Grüne Jugend fühlt sich in vielen Punkten der Ideologie
der kurdischen Bewegung programmatisch verbunden. Außerdem verurteilt die Grüne
Jugend die umfangreiche Kriminalisierung politischer Arbeit der kurdischen
Bewegung innerhalb Deutschlands.

Im Sommer 2022 hat Erdoğan eine umfangreiche Bodenoffensive in Nord- und
Ostsyrien angekündigt, die das Ziel habe, „sie alle auszurotten“[1]. Damit nutzt
Erdoğan bewusst genozidale Rhetorik. Genozide umfassen nicht nur das gezielte
Töten von Personen einer bestimmten Gruppe, sondern basieren auf „Handlungen,
begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse
Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.“ So definiert die UN-
Konvention „Völkermord“ im Artikel II. Dazu gehören Maßnahmen die gezielte
Vertreibung, Umsiedlung und Assimilation und damit die Auslöschung der
kurdischen Bevölkerung zur Folge haben.

Im besetzten Afrîn zeigen sich bereits erste Ergebnisse dieser kriminellen
Taktik: Während vor der Invasion noch schätzungsweise 95% der Bevölkerung
kurdisch war, ist der kurdische Bevölkerungsanteil 2022, vier Jahre nach der
Besatzung, auf 25-30% geschrumpft.[2] Die Bodenoffensive, die Erdoğan
angekündigt hat, ist zwar bislang ausgeblieben, im November fand dagegen eine
Erweiterung der Luftschläge statt, die auch auf zivile Infrastruktur wie
Krankenhäuser, Getreidesilos und Strominfrastruktur gerichtet wurden. Diese
Eskalation hat für weltweite mediale Aufmerksamkeit gesorgt und wurde auch als
Wahlkampfmanöver Erdoğans in Hinblick auf die türkischen Präsidentschaftswahlen
am 14. Mai 2023 gedeutet. Neben den konventionellen militärischen Aktionen gibt
es zudem seit 2022 Hinweise auf den Einsatz chemischer Kampfstoffe durch das
türkische Militär im Kurdistan-Irak,[3] was bei Zutreffen einen eklatanten Bruch
des Völkerrechts sowie der vom NATO-Partner Türkei mitunterzeichneten
Chemiewaffenkonvention bedeuten würde.

Im Februar 2023 folgten die verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien. Für
die Folgezeit dieser weitreichenden humanitären Katastrophe wurde auf Seiten der
„Union der Gemeinschaften Kurdistans“ KCK zu einer Waffenruhe aufgerufen, der
sich die kurdischen und autonomen Verteidigungseinheiten anschlossen und die bis
zum Ergebnis der türkischen Präsidentschaftswahlen gehalten werden soll. Das
türkische Militär setzte seine Luftschläge dahingegen fort und fügte der
Zerstörung und dem zivilen Leid durch die Erdbeben noch weitere militärische
Gewalt hinzu, die weitere Folgen für die dringend notwendige Versorgung und die
ohnehin vorhandenen Ängste der Menschen mit sich gebracht hat. Die Lage
verschlimmerte sich zusätzlich und maßgeblich durch die gezielte Hinderung der
syrischen Regierung, humanitäre Transporte des kurdischen roten Halbmonds in die
betroffenen kurdischen Gebiete außerhalb des Autonomiegebiets zuzulassen.

Während dieser verheerenden humanitären Notlage findet in der Türkei parallel
eine Kriminalisierung der politischen Kräfte der kurdischen Bewegung statt. 2021
beantragte Erdoğan ein Verbotsverfahren für die HDP, das mehrfach zeitlich so
verschoben wurde, dass es erst kurz vor der Wahl abgeschlossen wird und somit
eine erfolgreiche Listenaufstellung für die HDP verhindert. Aus diesem Grund
tritt statt der HDP bei dieser Wahl die „Grüne Linke Partei“, Yeşil Sol Parti
(YSP) an.

Als Grüne Jugend Sachsen stellen wir folgende Forderungen:

  • Die Grüne Jugend Sachsen ruft dazu auf, bei der türkischen
    Präsidentschaftswahl am 14. Mai die YSP zu unterstützen.
  • Die Grüne Jugend Sachsen setzt sich für ein Ende der Kriminalisierung der
    kurdischen Bewegung in Deutschland ein.
  • Die Grüne Jugend Sachsen setzt sich dafür ein, dass die Bundesregierung
    den Giftgasanschlag auf Helebce/Halabja am 16.03.1988 als Genozid
    anerkennt. Dabei ist es besonders wichtig, die deutsche Verantwortung
    aufzuarbeiten, die in der Produktion der dort eingesetzten chemischen
    Kampfstoffe liegt.
  • Die Grüne Jugend Sachsen setzt sich dafür ein, die Türkei für ihre
    militärischen Aktionen in den kurdischen Autonomiegebieten mit Sanktionen
    zu belegen.

Als Grüne Jugend Sachsen unterstützen wir außerdem folgende Forderungen der
kurdischen Bewegung
:

  • Die deutsche Bundesregierung soll als staatliche Akteurin einen Antrag bei
    der OPCW[4] auf Überprüfung der Verwendung chemischer Waffen durch das
    türkische Militär im Kurdistan-Irak stellen.
  • Die deutsche Bundesregierung soll sich innerhalb der NATO und UN für die
    Einrichtung einer Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien einsetzen.

[1] Das entsprechende Zitat lautet: „Mit Allahs Hilfe werden wir sie alle so
schnell wie möglich mit unseren Panzern und Soldaten ausrotten“, Gert Höhler,
„Wagt Erdogan den Einmarsch in Syrien“, 27.11.22, Redaktionsnetzwerk
Deutschland, https://www.rnd.de/politik/erdogan-kuendigt-bodenoffensive-in-
nordsyrien-an-wie-wahrsch
einlich-ist-eine-tuerkische-invasion-
ZELMFHNWLFETTPMNDNMENRGLS4.ht
ml (letzter Zugriff: 20.04.2023).

[2] „The State of the Occupation Q1 & Q2 2022: Lack of Accountability of SNA
Crimes, HTS Incursion in Afrin, and ISIS in Turkish-Occupied Territories.”
Rojava Information Center, https://rojavainformationcenter.com/2023/02/state-of-
the-occupation-q1-q2-2022-lack-of-accountability-of-sna-crimes-hts-incursion-in-
afrin-isis-in-turkish-occupied-territories/
(letzter Zugriff: 20.04.2023).

[3] Josef Savary; Jan van Aken: „Is Turkey Violating the Chemical Weapons
Convention?”, IPPNW, Oktober 2022.
https://www.ippnw.de/commonFiles/bilder/Frieden/2022_IPPNW_Report_on_possible_Tu-
rkish_CWC_violations_in_Northern_Iraq.pdf
(letzter Zugriff: 25.04.2023).

[4] Die OPCW ist die Organisation für das Verbot chemischer Waffen der Vereinten
Nationen.

Begründung

Die bündnisgrüne Partei ist als Bewegungspartei entstanden und hat sich seit ihrer Entstehung, besonders aber durch den Kosovo-Krieg als verlässliche Ansprechpartnerin für Menschenrechte, internationale Politik und Minderheitenschutz etabliert. Als wichtige politische Akteurin trägt unsere (Mutter-)Partei die Verantwortung, aktuelle Entwicklungen im Blick zu behalten und bei militärischen Konflikten entschieden gegen Aggressor*innen vorzugehen und Partei für die Angegriffenen zu ergreifen. Dies ist momentan nicht der Fall. In der aktuellen bündnisgrünen Beschlusslage von 2018 werden gleichermaßen die kurdischen Parteien und Verteidigungseinheiten sowie das türkische Militär für den seit den 1980er Jahren andauernden militärischen Konflikt verantwortlich gemacht. Diese Einschätzung entspricht nicht der aktuellen Realität und den weiteren politischen Entwicklungen seit 2018.

Als Grüne Jugend ist es unsere Aufgabe, unsere Mutterpartei immer wieder an die Verantwortung zu erinnern, die sie als etablierte politische Kraft, besonders durch die Beteiligung in der Bundesregierung und im Außenministerium trägt. Dafür müssen wir uns selbstständig weiterbilden und uns mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vernetzen, um deren Anliegen in die Partei hereinzutragen.



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