Klassenkampf neu denken! – Warum der Kampf für gute Arbeitsbedingungen ohne Feminismus und Antirassismus lost ist
Beschluss der 1. Landesmitgliederversammlung 2023
29.04.2023 | Chemnitz
Arbeiterklasse. Man kommt momentan kaum durch eine GRÜNE JUGEND
Bildungsveranstaltung, ohne diesen Begriff zu hören. Und das ist auch richtig
so! Ohne das Wissen über diese Kategorie wären wir als linker politischer
Jugendverband orientierungslos. Denn was Karl Marx so prägnant vor 150 Jahren
formulierte, stimmt auch heute immer noch:
Es gibt eine Klasse an Leuten, die weder Fabrikanlagen noch andere
Produktionsmittel besitzen: Die Arbeiterklasse.
Und obwohl seit 1848 eine beachtliche, globale und vor allem diverse kulturelle,
soziale und weltanschauliche Entwicklung, innerhalb dieser Klasse, stattgefunden
hat, sind dennoch alle modernen Arbeiter*innen des 21. Jahrhunderts durch eine
grundlegende Gemeinsamkeit, einer Art von doppelter Freiheit, gekennzeichnet.
Denn sie sind frei vom formalen Zwang zu arbeiten, aber auch frei von der
Fähigkeit ihr Leben autonom mittels selbst angebauter Nahrung, Wasser und
eigenständig gebauten Unterkünften zu erhalten. Sie brauchen für den Erwerb
dieser Dinge Geld. Geld, das nur mittels Lohnarbeit zu erhalten ist. Folglich
sind sie gezwungen ihre Arbeitskraft zu verkaufen, das heißt: Arbeiten zu gehen.
Im starken Kontrast dazu gibt es eine kleine Anzahl an Menschen, die
Unternehmen, riesige Aktienmengen und etliche Immobilien, zusammengefasst
Produktionsmittel bezeichnet, besitzen: Die Kapitalistenklasse. Sie müssen ihre
Arbeitskraft nicht verkaufen, denn sie quetschen einfach durch günstige
Besitzverhältnisse, Milliarden an Profit aus Wohnraum und der Arbeitskraft
unzähliger Menschen heraus. Sie besitzen, was etliche andere zum Leben brauchen:
Wohnraum, Arbeitsplätze, uvm.
Auf Basis dieser Analyse wird klar, dass die eine Klasse nur so reich sein kann,
weil die andere so ausgebeutet ist. Gerechtigkeit sieht anders aus. Deswegen
schreiben wir, als GRÜNE JUGEND Sachsen, den klassischen, gewerkschaftlichen
Klassenkampf auf unsere Agenda. Hier einige Beispiele:
- Wir solidarisieren uns mit Gewerkschaften, wenn es um bessere
Arbeitsbedingungen und Lohn geht.
- Wir kämpfen für Sozialleistungen (Kindergrundsicherung, Bürgergeld,
Bafög), von denen man wirklich leben kann.
- Wir wollen eine umlagefinanzierte Ausbildungsplatzgarantie und eine
Jobgarantie.
- Wir fordern,die Verstaatlichung kritischer Infrastrukturen wie Schienen-, Autobahn-,
Strom- und Wärmenetze, sowie den Entzug für alle Menschen notwendiger
Leistungen wie Gesundheitspflege und Bildung aus bestehenden
Profitzwängen.
Die gerade genannten Forderungen sind aber nicht neu, auch wenn es wichtig ist,
sie immer zu wiederholen. Der gesamte Leitantrag bis hier stellt eine
wiederholende Einleitung dar, um die Analyse vorzubereiten, die nun folgen soll.
Denn um ein vollständigeres Bild der Projekte unseres Verbandes zu zeichnen,
muss man noch unsere feministischen Bestrebungen und die antirassistische
Aktivität betrachten. Wie können wir unserer LMV das Motto „Clash of Classes“
geben, wenn es doch so viel Wichtiges (Patriarchat, Rassismus) gibt, dass
augenscheinlich nichts mit Arbeit zu tun hat.
Antirassismus und Feminismus als Arbeiter*innenbewegung!
Es ist an der Zeit, darüber anders zu denken! Man muss sich zuerst aber darauf
einlassen, dass Arbeit viel mehr sein kann als Lohnarbeit. Arbeit kann als
jeglicher Dienst an der Umwelt und uns selbst betrachtet werden, der dazu
beiträgt, unsere Gesellschaft und all ihre Individuen zu erhalten.
Nach dieser Definition wäre auf einmal Geschirrputzen, Kinder erziehen uvm.
Arbeit. Anders ist nur, dass diese Arbeit kein neuen Gegenstand produziert,
sondern viel mehr unsere Lebensgrundlagen und uns als Spezies reproduziert. Vor
dem Eintritt des Kapitalismus war diese Betrachtungsweise die Norm. Egal ob
Felder pflügen oder Babys stillen, beides war Arbeit. Das heutzutage
hauptsächliche Frauen diese unbezahlte Arbeit leisten, ist zudem kein Zufall.
Doch dazu später mehr.
Ebenfalls muss man sich darauf einlassen, dass produktive Arbeit außerhalb von
vertraglich festgelegter Lohnarbeit existiert und global gesehen nicht nur
zahlreich ist, sondern auch zunimmt. Diese Arbeit kann moderne Sklaverei,
Zwangsarbeit oder minderwertige Arbeit genannt werden. So beinhaltet diese
Kategorie z.B. philippinische Bedienstete in arabischen Haushalten, uigurische
Zwangsarbeiter*innen in China, Kinderarbeiter *innen in Coltanminen in
Zentralafrika, oder bulgarische Männer auf deutschen Baustellen. Nicht zu
vergessen sind Menschen mit Behinderungen, die ebenfalls mehr oder weniger
unfreiwillig in sogenannten Werkstätten für behinderte Menschen unter
Mindestlohn arbeiten. Diese schrecklichen Arbeitsbedingungen funktionieren nur
durch Ableismus, der ihnen bessere Anstellungen unmöglich macht und ihre enorme
Ausbeutung legitimiert. Auch wenn behinderte Menschen von diesem Phänomen
betroffen sind, so stellen dennoch rassifizierte bzw. BiPoc-Personen den
Großteil dieser Arbeitenden dar. Auch diese spezifische Personengruppe stellt
keinen Zufall dar.
Patriarchat und Rassismus haben beide Ursprünge, die älter sind als der
Kapitalismus, jedoch haben sie in Zusammenarbeit mit dem Kapital neue Formen
angenommen, die verheerender sind als vieles vor ihnen. Ihre Funktion in der
kapitalistischen Gesellschaft sieht ungefähr so aus:
- Rassismus:
- Sklaverei, unbezahlte und unterbezahlte Arbeit sind schlicht und
ergreifend profitabler als gut bezahlte Jobs, da weniger Geld für
den Lohn bzw. gar kein Geld für Lohn, Rente, Arbeitsschutz und
Versicherungen ausgegeben werden muss. So können Produkte noch
billiger hergestellt werden und der Fakt, dass ein T-Shirt aus
Bangladesch in Europa für 5 Euro verkauft werden kann, führt dazu,
dass die Löhne der Lohnarbeiter*innen im Norden niedriger sein
können, da die Lebensunterhaltkosten gedrückt werden. Dabei werden
die Arbeitskosten und die Umweltschäden nur minimal bis gar nicht
ausgeglichen. Billige bis kostenlose Ausgangs-bedingungen für
Produktion erhalten den Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form,
der wiederum immer derartige Zustände hervorbringen wird. - Was nun Rassismus macht, ist, dass er, meist auf irgendeiner Art von
ideologischer Grundlage, willkürliche Kategorien innerhalb der
Menschheit kreiert, die neben mitunter tiefgreifenden
Einschränkungen in die persönliche Freiheit auch eine
Unterbezahlung, enorme Ausbeutung oder sogar Sklaverei legitimieren.
Menschen werdenEigenschaften wie Faulheit oder Dummheit nur auf
Basis ihres Aussehens bzw. Hautfarbe zugeschrieben. Sogar der ganze
Wert ihres Lebens wird herabgesetzt. Kapitalistische Akteure, die
sich aus Profitgier derartig legitimierter Zwangsarbeit bedienen, so
z.B. viele, auch deutsche, Automobilkonzerne in China, aber auch
anderswo auf der Welt, tragen diese menschenrechtswidrigen
Missstände mit.Dabei handelt es sich jedoch, ohne verharmlosende
Vergleiche zu ziehen, keineswegs um ein Problem, dass nur andere
Länder betrifft. Da in Deutschland vielen Migranten, z.B. Türk*innen
oder auch slawischen Menschen die Abschlüsse aus ihrem Heimatland
nicht anerkannt werden, landen sie gezwungenermaßen im mal legalen
und mal illegalen Niedriglohnsektor, wo sie harte und z.T.
gefährliche Arbeit leisten, die weiße Menschen in der Regel nicht
machen.International hat Rassismus in Verbindung mit Kolonialismus
noch dazu geführt, dass es normal ist, wenn ein Großteil der
Arbeiter*innen im globalen Süden ohne jeglichen rechtlichen Schutz
in Minen oder Fabriken arbeiten, um billig Rohstoffe oder einfache
Produkte herzustellen. Abschließend kann gesagt werden, dass die
gegenwärtige kapitalistische Gesellschaft zwangsläufig rassifizierte
Menschen hervorbringen muss, um die moderne, globalisierte und hoch-
profitable unfreie Arbeit aufrecht zu erhalten.
- Sklaverei, unbezahlte und unterbezahlte Arbeit sind schlicht und
- Patriarchat:
- Reproduktive Arbeit, also Arbeit, die den Menschen erhält und neue
Menschen hervorbringt, ist ebenfalls eine notwendige Bedingung für
den Kapitalismus. Es braucht eine*n mehr oder wenigen gesunde*n
Arbeiter*in, um die Lohnarbeit auszuüben. Dazu müssen immer neue
Arbeiter*innen geboren werden, um neue bzw. mehr Arbeitskraft
bereitzustellen. Wenn man sich genauer den Alltag von (mehrheitlich
weiblichen) Familienmenschen anschaut, die neben einer 30-40
stündigen Arbeitswoche noch Hausarbeit leisten, dann fällt auf, dass
praktisch ihr gesamter Tag aus produktiver und reproduktiver Arbeit
besteht. All diese Arbeit zielt nur darauf ab, einen Lohn zu
erhalten und die eigenen Lebensgrundlagen, sowie die des Ehemanns
oder der Kinder, zu erhalten, damit dann eines Tages die Kinder
arbeiten gehen können und damit man selber und der Ehemann gewaschen
und ernährt am nächsten Tag wieder arbeiten gehen können. Der Fakt,
dass diese Arbeit nicht bezahlt wird, spielt wiederum in die Hände
des Kapitalismus und seinem Bestreben, so wenig wie möglich an Lohn
auszuzahlen, um Profite zu maximieren. - Was nun das Patriarchat in Verbindung mit dem Kapital getan hat,
ist, dass Hausarbeit feminisiert und naturalisiert wurde. Das heißt,
dass Hausarbeit als die von der Natur vorhergesehene Beschäftigung
der Frau konstruiert wurde. Frauen wurden als von Geburt an
emotionaler, fürsorglicher und aufopferungsvoller beschrieben, damit
es unhinterfragbar wird, warum fast ausschließlich sie Unmengen an
unbezahlter Arbeit leisten. Genauso wurde eine strikte
Geschlechtsbinarität konstruiert, um sich einerseits von den
kolonialisierten, mehrgeschlechtlichen „Wilden“ abzugrenzen, aber
auch um die strikte Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau zu
zementieren. Damit wurde die Hausarbeit praktisch zu einer
natürlichen Ressource, die genauso wie Erz und Holz kostenlos
ausgebeutet werden kann.
- Reproduktive Arbeit, also Arbeit, die den Menschen erhält und neue
So kann man schlussendlich zusammenfassen, dass mittels Rassismus und dem
Patriarchat zwei distinktiv verschiedene Kategorien an Menschen geschaffen
wurden. Rassifizierte und feminisierte Menschen. Beide Gruppen wurden aufgrund
von unwissenschaftlichen Zuschreibungen und anderen Machtdynamiken in Schubläden
gezwungen, die es dem Kapital erlauben sie in unfreier Arbeit und in unbezahlter
Hausarbeit auszubeuten.
So muss es klar sein, dass Arbeit am Ende drei Gesichter hat:
- Ausgebeutete Lohnarbeit, wobei die Arbeiter*innen nicht den vollen Wert
ihrer Arbeit ausgezahlt bekommen,
- Unfreie/enteignete Arbeit, wobei auf Grundlage bestehender
Unrechtsstrukturen, wie Rassismus Arbeiter*innen illegal, zu Hungerlöhnen
oder versklavt arbeiten und
- Hausarbeit, wobei das Patriarchat dazu führt, dass Arbeiter*innen, die
hauptsächlich Frauen sind, unbezahlte reproduktive Arbeit leisten.
Aus dieser neu gewonnenen Analyse folgt, dass der gewerkschaftliche Kampf für
die Lohnarbeit, der antirassistische Kampf und der feministische Kampf alles
Arbeitskämpfe sind. Die Arbeiterklasse besteht also auch aus den illegal
beschäftigten georgischen Spargelpflückern und der Großmutter von nebenan. Die
Arbeiterklasse ist viel größer als das Klischee des weißen, männlichen
Industriearbeiters mit gutem Tarifvertrag. Der Feind ist für uns alle am Ende
aber der Gleiche: Der Kapitalismus und seine unmenschliche, selbstzerstörerische
Profitlogik.
Allgemein lässt sich daraus der Selbstanspruch ableiten, dass die GRÜNE JUGEND
Sachsen:
- Sich im breitesten Sinne als eine antikapitalistische-ökologische
Organisation des intersektionalen Klassenkampfs versteht
- Auf Basis dieser intersektionalen Analyse nicht auf die vermeintlichen
Widersprüche zwischen Antirassismus, Feminismus und gewerkschaftlicher
Arbeit reinfällt
- Erkennt, dass kein Interessenkonflikt zwischen Arbeiter*innen im globalen
Norden und Süden oder zwischen Lohnarbeiter*innen und unfreien
Arbeiter*innen besteht, sondern ein und die gleiche kapitalistische
Ausbeutung sie unterdrückt
- Mit dieser Analyse breite Bündnisse schmieden will, die eine
antikapitalistische Gegenmacht herstellen können
- Mittels diesen Bündnissen und anderer Arbeit sich bemüht ein neues,
inklusiveres Verständnis von Arbeiterklasse herzustellen, dass zwischen
diesen drei Bewegungen (Gewerkschaft, AntiRa, Feminist*innen) Einheit
herstellt, aber nicht Unterschiede verneint
- Auf Basis dieser Bündnisse und dieser Analyse für eine nicht-
kapitalistische Welt kämpft, in der es gerechte Arbeitsbedingungen für
alle gibt – Also: keine vernachlässigte, unbezahlte Reproduktionsarbeit,
keine moderne Sklaverei bzw. Unterbezahlung und auch keine Lohnarbeit mehr
Weltweit wächst die Schere zwischen Arm und Reich. Prekäre Jobs wie
Lieferandofahrer oder Minijobber nehmen in Deutschland zu und weltweit wächst
die Masse an unfreier, enteigneter Arbeit. Zu Coronazeiten waren es wieder die
Frauen, die dann doch die Hausarbeit leisteten, und inmitten einer Inflation
können selbst die Lohnarbeiter*innen kaum noch vom Gehalt leben. Die Krise hat
System. Der Finanzmarkt-Neoliberalismus des 21. Jahrhundert wird alles tun, um
immer mehr Profit zu generieren. Die Umwelt und die Arbeiter*innen leiden
darunter am meisten. Der Clash of Classes bzw. Klassenkonflikt ist schon ein
paar hundert Jahre alt, jedoch immer noch ungeklärt. Mit der Klimakrise im
Nacken wird es wohl an unserer Generation liegen, mit neuen Gedanken und
Analysen eine politische Bewegung zu kreieren, die der Ausbeutung von Menschen
und Umwelt durch den Kapitalismus endgültig den Garaus macht und sie durch eine
gerechte, zukunfts- und weltoffene Gesellschaft ersetzt.Deswegen zum Schluss:
Clash of Classes? Jetzt erst recht!
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